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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Sprachaufzeichnungen und Web) auch nicht simuliert werden, ist er zwangsläufig auf das geschriebene Wort angewiesen – auf Schiefer- oder Wandtafeln, in Übungsheften oder Büchern. Verfügt man nur über diese Mittel, ist es nicht eben leicht zu erklären, dass die Wendung
    У меня большой дом
    »Ich habe ein großes Haus« bedeutet. Man müsste wenigstens dazusagen, dass sie sich in
    Bei-mir-großes-Haus
    zerlegen lässt, und könnte die deutsch so aneinandergereihten fremdsprachlichen Elemente zur Einführung in grundlegende grammatische Sachverhalte nutzen – etwa den, dass das Russische keine bestimmten und unbestimmten Artikel hat; dass Adjektive in Zahl, Geschlecht und Fall mit den Nomen kongruent sind, die sie bestimmen; dass russische Wendungen dieses Typs ohne das Verb »haben« auskommen; dass man Besitzverhältnisse durch eine Präposition vor einem Personalpronomen ausdrückt, das allerdings in den richtigen grammatischen Fall gebracht werden muss. Die grammatische Erläuterung, die ich eben gegeben habe, läuft aber weitgehend ins Leere, wenn man die Wendung nicht geschrieben vor Augen gehabt und gesagt bekommen hat, wofür die einzelnen Elemente stehen.
    Manche nennen das »wörtliche Übersetzung«, aber es wäre besser, für solche vergleichenden Analysen fremdsprachlicher Ausdrücke im Rahmen des Sprachunterrichts einen gesonderten Begriff zu verwenden. Das Zerlegen einer Wendung in ihre Wortbestandteile ist von unschätzbarem Wert, und ich glaube, noch die direkteste Methode wird früher oder später nicht ohne sie auskommen. Schüler, deren Fremdsprachenunterricht auf anderen Methoden beruht, erfinden dieses Hilfsmittel selbst immer wieder neu, wenn sie sich mit einem Satz herumschlagen, der noch jenseits ihres gerade erreichten Kenntnisstands liegt.
    Die Wortbetrachtung vermittelt erste Einblicke in die Gestalt und das System der Sprache, die man erlernt. Sie hilft weniger beim Übersetzen als beim Bilden akzeptabler Wendungen in der Fremdsprache. Wer später in die Fremdsprache übersetzen will, muss zunächst einmal lernen, der Quelle ein fremdes Kleid anzuziehen. Er lernt, dass »Mein Vater hat ein großes Auto« zunächst in »Bei Vater großes Auto« überführt werden muss, bevor er auch nur anfangen kann, die russischen Wörter einzusetzen, die zum Schluss den russischen Satz mit der genannten Bedeutung ergeben.
    Das Zerlegen von Wendungen in Einzelwörter ist weder Sprechen noch Übersetzen, nur ein äußerst hilfreiches Zwischenstadium beim Erlernen einer Fremdsprache in Wort und Schrift. Anhand von schulischen Übersetzungen in die L2 kann die Lehrkraft überprüfen, ob die Schüler Gestalt und System der anderen Sprache verstanden und verinnerlicht haben. Es geht dabei nicht um die Abfrage abstrakter grammatischer Kenntnisse, sondern um Grammatik in der praktischen Anwendung. So jedenfalls habe ich in der Schule Sprachen gelernt. Gute Lehrer und wissbegierige Schüler vorausgesetzt, gelingt das auch.
    Häufig misslingt es aber. Und, noch schlimmer, wer als Schüler an Prüfungstexten gescheitert ist, tritt oft voller Angst vor Übersetzungen – und manchmal mit zählebigen Ressentiments gegenüber denen, die das können – ins Leben hinaus.
    Seit Einführung der allgemeinen Volksbildung im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart haben zweisprachig gedruckte Übersetzungen fremdsprachlicher Klassiker unzähligen Schülern beim Erfassen von Grammatik und Wortschatz geholfen und damit zu einem schnelleren und besseren Textverständnis beigetragen. Manche Buchreihen mit zweisprachig abgedruckten Texten vor allem aus der lateinischen und griechischen Literatur wählen Methoden der Darstellung, die dem Zerlegen in Einzelwörter ähneln, und werden häufig »cribs« (»Spickzettel«) genannt. Aber auch wenn der Zieltext flüssiger lesbar sein soll, setzt die Maßgabe, Absatz an Absatz, wenn nicht gar Zeile an Zeile anzupassen, einer Neuorganisation des sprachlichen Materials, wie sie in literarischen Übersetzungen üblich ist, enge Grenzen. Die »Penguin Parallel Texts« in Großbritannien oder die rote und die orange Reihe der Reclam Universal-Bibliothek sind von großem Nutzen für alle, die Italienisch, Spanisch, Russisch und so weiter lernen – sogar für jemanden wie mich, der die eine oder andere Fremdsprache vor langer Zeit gelernt hat und froh ist, eine Hilfe zu haben, wenn er sich die Schlüsseltexte der Jugend wieder einmal vornimmt.
    Wort-für-Wort- und

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