Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
Vom Netzwerk:
von der Größe eines Fernsehapparats lesbar sein soll, dürfen pro Zeile nicht mehr als 32 alphabetische Zeichen dargestellt werden. Außerdem dürfen nicht mehr als zwei Zeilen Text gleichzeitig zu sehen sein, wenn signifikante Teile des Bildes nicht verdeckt werden sollen, sodass Übersetzer von Untertiteln inklusive Leerzeichen alles in allem etwa 64 Zeichen – die zudem höchstens einige Sekunden lang gezeigt werden können – für den Sinngehalt einer Einstellung oder Sequenz zur Verfügung haben, in der die Personen aber vielleicht wesentlich mehr sprechen. Die Grenzen werden durch die menschliche Physiologie, das durchschnittliche Lesetempo und die physische Gestalt der Filmleinwand gesetzt. Eigentlich erstaunlich, dass das überhaupt zu schaffen ist.
    Eine zusätzliche Einschränkung besteht darin, dass ein Untertitel einen Umschnitt üblicherweise nicht überlappen darf: Plaudert beispielsweise in einer Szene im Flugzeug jemand mit seinem Sitznachbarn und wird anschließend zur Landung der Maschine geschnitten, muss der Untertitel im Moment des Schnitts oder unmittelbar davor verschwunden sein und die folgende Bildunterschrift darf erst mit Beginn der nächsten Tonsequenz erscheinen. Ein Film muss folglich in die »Spots« aufgeteilt werden, in denen Untertitel vorkommen dürfen. Die heikle Aufgabe des »Spotting« (sie wird wesentlich leichter, wenn der Filmverleiher eine Kopie der Tonspur zur Verfügung stellt) kann dem Übersetzer, der die Untertitel anfertigt, übertragen werden oder auch nicht. Meist arbeiten hier mindestens zwei Personen zusammen. Daraus ergibt sich fast von selbst, dass in Untertiteln nicht alle gesprochenen Worte übersetzt sind; besonders bei Filmen mit sehr schnellen Dialogen liefern sie den Dialogtext nur komprimiert oder als Resümee.
    Man glaubt, dass die strengen formalen Einschränkungen beim Übersetzen für den Film bereits erheblich auf Originalwerke zurückgewirkt haben. Filmemacher, die auf ausländische Märkte angewiesen sind, wissen sehr genau, wie wenig übersetzter Dialog tatsächlich in Schriftform auf der Leinwand zu sehen sein wird. Das führt gelegentlich dazu, dass Figuren eher wortkarg angelegt werden, weil der Dialog sich so in den fremdsprachigen Fassungen vollständig unterbringen lässt. Ingmar Bergman etwa drehte zwei Arten von Filmen – heitere Komödien mit viel Text für den schwedischen Markt und verschlossene, melancholische Dramen für den Rest der Welt. Unser eindimensionales Bild von den Schweden als verbal gehandicapten Depressiven ist zum Teil ein Nebenprodukt dessen, dass Bergman die Vorgaben der Untertitelung bereits bei der Konzeption seiner anspruchsvolleren Filme für den Weltmarkt berücksichtigte. Diesen sogenannten »Bergman-Effekt« kann man auch bei den frühen Filmen von István Szabó und von Roman Polanski beobachten.
    Vielleicht zeigt der angebliche Bergman-Effekt im Film aber nur »in nuce« einen viel größeren modernen Trend. Stephen Owen vertritt die Ansicht, zeitgenössische chinesische Dichter etwa schrieben auf eine Weise, die die Übersetzung ihres Werks ins Englische vorwegnehme – ja, alle fremdsprachige Literatur, die anstrebe, zur »Weltliteratur« zu gehören, beruhe heute auf einer seitens der Autoren bereits vollzogenen Internalisierung übersetzerischer Beschränkungen. 1
    Das Übersetzen von Untertiteln ins Englische ist eine sehr kleine Nische der übersetzerischen Welt, weil nur wenige ausländische Filme in den USA gezeigt werden. Derzeit gibt es in dieser Branche nur zwei amerikanische Firmen (und keine von beiden bietet ausschließlich Untertitelungs-Service). Sie greifen auf ein loses Netzwerk von Übersetzern zurück, die im Hauptberuf etwas anderes machen. Da man sie nach Stücklohn – in lächerlicher Höhe – bezahlt, gehört das Grüppchen der englischen Übersetzer von Dialogbüchern zu den Sprachathleten der modernen Medienwelt, die mit Brosamen an Wertschätzung und Verständnis für ihr Tun abgespeist werden.
    In vielen Ländern zieht man synchronisierte Filme vor. Im Englischen wird das heute kaum gemacht, weil das amerikanische Publikum nur komplette Lippensynchronität akzeptiert, bei der alle Spuren der Fremdheit eines ausländischen Films getilgt sind. Dialog so zu übersetzen, dass er sich beim Nachsprechen mit den Lippenbewegungen des Originalsprechers deckt – und zwar in Sekundenbruchteilen gemessen – ist nicht trivial. Und nicht nur die Millisekunden zählen. Übersetzter Dialog

Weitere Kostenlose Bücher