Was macht der Fisch in meinem Ohr
Schrift, in ihrem Wortlaut so exakt wie irgend möglich. Eine Bibel, die nicht direkt zu den Menschen in der Zielsprache spricht, oder Bibeln, die nur ausgebildete Theologen oder Priester lesen und verstehen können, sind für missionarische Zwecke ungeeignet. Die von Nida propagierte dynamische Äquivalenz ermutigte Übersetzer in erster Linie dazu, alles zu opfern, was nötig war, um »die Botschaft an den Mann zu bringen«. Dem entsprach auch die Überschrift eines Kapitels in dem Handbuch, das er gemeinsam mit Jan de Waard verfasste: »Übersetzen bedeutet Bedeutung übersetzen«. 2
Wie oben erläutert, ist dieser Ansatz typisch für das aufwärts -Übersetzen. Trotzdem sind die Quellsprachen der Bibel – Hebräisch, Griechisch und Latein – dem religiösen Kern der Texte zweifellos viel näher, als es eine Übersetzung in die Sprache welchen Volkes auch immer sein könnte, erst recht vom Standpunkt Gläubiger aus gesehen. Dementsprechend müssten wir in der Bibelübersetzung des 20. Jahrhunderts eigentlich das umfangreichste Material für eine Fallstudie zum abwärts -Übersetzen haben – dem Übersetzen von einer Sprache mit hohem Prestige in ein lokales Idiom, von einer »verbreiteten Sprache der Wahrheit« in eine bestimmte Landessprache. Die meisten der von Nida überwachten Bibelübersetzungen benutzten als Quelle jedoch nicht griechische oder lateinische (und schon gar nicht hebräische), sondern amerikanische Ausgaben der englischen Bibel, zwei einflussreiche spanische Ausgaben, die Reina-Valera in der revidierten Fassung von 1909 und einen Bibeltext in vereinfachter Sprache mit dem Titel Dios Habla Hoy (»Gott spricht heute«) 3 . Natürlich sind das die heute in vielen Teilen der Welt dominierenden Sprachen.
Dass eine bereits existierende Übersetzung zur Grundlage einer neuen Übersetzung wird, ist bei der Bibel kein Novum. Nur die aramäischen Targume und die altgriechische Septuaginta wurden direkt aus dem biblischen Hebräisch übersetzt. Die armenische, koptische, altlateinische, syrische, altäthiopische, persische und die arabische Übersetzung des Alten Testaments wurden aus dem Griechischen angefertigt; die georgische Bibel wurde wahrscheinlich zuerst aus dem Armenischen übersetzt (möglicherweise unter Hinzuziehung syrischer und griechischer Quellen), genauso wie die gotische Bibel, für die man wahrscheinlich auch lateinische Versionen benutzt hat. Hieronymus zog hebräische und aramäische Texte zur Ergänzung der Septuaginta für seine wirkmächtige Version des Alten Testaments auf Lateinisch und das griechische Original für das Neue Testament heran. Die frühen deutschen Bibelübersetzungen des 15. Jahrhunderts benutzten die lateinische Fassung von Hieronymus als Quelle, nicht anders die ersten Bibeln auf Schwedisch. Martin Luther gehörte zu den ersten europäischen Übersetzern, die auf Griechisch und Hebräisch als Quelltexte zurückgriffen; seine deutschen Formulierungen wurden jedoch von vielen Übersetzern in andere europäische Sprachen übernommen, und manche – so etwa die isländische Bibel – verwendeten Luther als einzige Quelle. Ins Französische wurde die Bibel erst im 16. Jahrhundert übersetzt – und zwar aus dem Lateinischen und Italienischen, nicht aus dem Hebräischen oder Griechischen. Die erste vollständige englische Bibel, übersetzt von Miles Coverdale, entstand ebenfalls unberührt von den Originalsprachen, schöpfte jedoch aus den lateinischen Bibeln des Hieronymus, einer späteren lateinischen Übersetzung von Erasmus und aus der deutschen Lutherbibel. Wenn während der letzten 100 Jahre für neue Übersetzungen der Heiligen Schrift in fast 2000 vorwiegend außereuropäische Sprachen moderne europäische Bibelübersetzungen benutzt wurden, ist das daher in der langen Geschichte dieser Texte nichts Neues, es wirft jedoch Fragen von äußerster Wichtigkeit auf – festigt und fördert es doch die Wahrnehmung von Englisch und Spanisch, nicht von Hebräisch oder Griechisch, als »Sprachen der Wahrheit«, zumal der Status beider Sprachen als Quellen der Bibelübersetzung kaum vom politischen, ökonomischen und kulturellen Status der Sprecher dieser beiden Verkehrssprachen zu trennen ist.
Das abwärts -Übersetzen von einer dominierenden in eine Landessprache geht typischerweise mit erheblichen Importen von Wortschatz und syntaktischen Konstruktionen aus der Quelle einher. Dieser Prozess entwickelte und bereicherte etwa das Syrische, als es zum Medium für
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