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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Aramäischsprecher im heutigen Jerusalem sagen würde, wenn sie sich in einem Fitnessstudio anmeldete und zu einem Dave-Brubeck-Track Aerobic betriebe. Es leuchtet nicht ein, warum Sprecher in der Antike ein Wort für eine Sache gehabt haben sollen, die es bei ihnen nicht gab, heutige Sprecher des Aramäischen oder einer x-beliebigen anderen Sprache sich aber für eine von drei Möglichkeiten zur Wiedergabe von »jazzercise« entscheiden sollen. Sie könnten das Wort importieren, wie es da steht, und es formal an die Erfordernisse der Verwendung in einem Satz anpassen. Oder sie könnten zwei aramäische Wörter hernehmen, die sinngemäß »synkopierte Musik« und »turnen« bedeuten, und sie analog zum Englischen zu einem neuen Kompositum verbinden. Oder aber, dritte Variante, sie könnten ein existierendes aramäisches Wort nehmen und es in einem neuen Zusammenhang so verwenden, dass es künftig auch »sich zu Musik recken und strecken« bedeutet. Das sind die drei Möglichkeiten für die Darstellung neuer Sachverhalte in jeder beliebigen Empfängersprache: durch ein Element der Fremdsprache (Option 1), eine Lehnübersetzung (Option 2) oder durch Bedeutungserweiterung (Option 3). Alle drei Optionen verändern die Zielsprache an einer bestimmten Stelle, was mit der Zeit Auswirkungen auf den Gebrauch und die Form anderer Wörter haben kann. Beim Austausch durch eine andere Kulturtatsache würde man nur eine andere, mehr oder weniger vergleichbare Aktivität aus der Welt heutiger Aramäischsprecher an die Stelle von »jazzercise« setzen.
    So verfuhr Ruyl beim Malaiischen: Er erfand kein neues Wort für ein neues Ding (»Feige«), sondern verwendete ein existierendes Wort und sagte etwas anderes (»Banane«). Das klappte nur, weil es auf Sumatra keine Feigen gibt. Ist der Gegenstand, den ein Wort bezeichnet – hier ein Fitnessstudio in einem von Aramäischsprechern bewohnten Viertel in Tel Aviv –, vorhanden, scheidet die Ersetzung durch eine andere Kulturtatsache als Option für die Übertragung unbekannter Begriffe aus.
    Stellen Sie sich vor: Sir Walter Raleigh präsentiert Königin Elizabeth I. ein erstaunliches Wurzelgemüse, das er aus der Neuen Welt mitgebracht hat, und ersucht Ihre Majestät, ihn zu entlohnen für die Entdeckung der … Steckrübe. Das hätte nicht hingehauen, denn es war keine Steckrübe. Hat man eine Kartoffel in der Hand, kann man sie nicht nennen wie das, was man vielleicht in der anderen Hand hat … »Die kulturelle Ersetzung« taugt als Mittel zur Benennung und zur Übersetzung ausschließlich für Dinge, die nicht vorhanden sind. Man kann die Bedeutung von »Steckrübe« nicht einfach erweitern und das Wort für Dinge verwenden, die keine Steckrüben sind. Als Ruyl für »Feige« pisang schrieb, erweiterte er ja auch nicht die Bedeutung des malaiischen Worts. Da spross nicht plötzlich eine neue Baumart, zu der Feigen und Bananen als Unterarten gehörten. Kulturelle Ersetzungen dieser Art besagen im Grunde: Du kannst das nicht richtig verstehen und wir halten uns nicht mit Erklärungen auf. Hier, nimm stattdessen eine Banane.
    Der Austausch durch Ähnliches ist bei Übersetzungen der Bibel in nicht europäische Sprachen häufig das Mittel der Wahl. Ein »weiß wie Schnee« im Bibeltext wird in den Sprachen von Menschen, die Schnee noch nie gesehen haben, vielleicht zu »weiß wie Kakadufedern« oder in manchen südamerikanischen Sprachen zu »weiß wie Baumwolle«. Im Asmat, gesprochen in einem Sumpfgebiet des indonesischen Papua, wo alle Häuser auf Pfählen stehen, wird das Gleichnis von dem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute, und von dem törichten Mann, der seines auf Sand baute, zu einer Geschichte über den klugen Mann, der sein Haus auf Pfählen aus Hartholz baut, wohingegen der törichte Mann sein Haus auf Pfählen aus Weichholz baut (Weichholz wird nur für provisorische Jagdhütten verbaut, da es schnell verrottet). 4
    Nida berichtet von noch umfangreicheren kulturellen Ersetzungen, auf die er gestoßen ist und die er gutgeheißen hat. In vielen Teilen Afrikas, schreibt er, ist es ein Ausdruck von Verachtung, wenn man vor einem Stammeshäuptling Zweige auf den Weg streut, wohingegen es in den Evangelien ein Symbol für den triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem ist. Ebenso gilt Fasten in vielen Teilen der Welt nicht als Form der Hingabe, sondern wird eher als Beleidigung Gottes aufgefasst. 5 Revisionen bei der Darstellung des Palmsonntags im Evangelium und bei der Rolle,

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