Was macht der Fisch in meinem Ohr
Beispiel das, was im amerikanischen Recht als »the class presumption [ejusdem generis] « bezeichnet wird. Steht in einem Vertrag, dass eine seiner Bestimmungen für »jede Wohnung, jedes Haus, Cottage und jedes andere Gebäude« auf einem bestimmten Stück Land gilt, bedeutet das kraft der Einordnung von »jedes andere Gebäude« als ejusdem generis nur ein anderes Gebäude der Kategorie, die »Haus, Wohnung und Cottage« bilden – ein Wohnzwecken dienendes Gebäude also. Dieser Satzkonstruktion steht der englische Sprachgebrauch in nicht juristischen Kontexten gegenüber, wo der Ausdruck »anderes Gebäude« eine Fabrik, eine Raumstation oder einen reinen Zierbau bezeichnen kann.
Das Chinesische hat für diese »class presumption« keinen Begriff, und sein Rechtswesen lässt sie auch nicht zu. Wird die auf Englisch formulierte Einschränkung ohne zusätzliche Angaben übersetzt, können die chinesischen Schriftzeichen für »anderes Gebäude« sich gleich plausibel auf eine Fabrik oder Werkstatt oder auf ein Wohngebäude beziehen, mithin gerade das bedeuten, was der amerikanische juristische Terminus ausschließt. Man könnte natürlich chinesische Zeichen hinzufügen, die »oder jedes ähnliche Gebäude«, »oder alle anderen Gebäude derselben Art « oder »oder alle anderen für Wohnzwecke geeigneten Bauten« bedeuten. Käme es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, könnte ein pfiffiger Anwalt wiederum jedoch behaupten, die beiden Fassungen des Vertrags seien nicht exakt gleichbedeutend, da das Englische keine Wörter enthält, die den hinzugefügten Zeichen entsprechen.
Die von Preston Torbert propagierte Lösung lautet, im Englischen so zu formulieren, dass die chinesische Übersetzung kein Problem darstellt – das heißt, den quellsprachlichen Text so abzuwandeln, dass er leichter in die Zielsprache übersetzt werden kann. So würde sich außerdem das Dunkel lichten, das über dem Juristenamerikanisch liegt – zu Nutz und Frommen für jedermann. Die Lösung ist von so stupender Einfachheit, dass man sich fragt, warum in amerikanischen Verträgen nicht schon immer von »Haus, Mietwohnung, Ferienhaus oder anderen ähnlichen Gebäuden« die Rede war. Torberts Antwort lautet: Weil die Verfasser juristischer Texte bisher kein Chinesisch hatten, das ihnen auf die Sprünge half. Am Chinesischen können englische Juristen lernen, wie man sagt, was man meint.
Dass solche übersetzerischen Auswirkungen minimal sind, liegt auf der Hand. Französisch, Englisch, Schwedisch und Chinesisch haben sich durch Übersetzungen nicht verändert, sind nur an den Rändern ein wenig biegsamer geworden – vorläufig zumindest. Die Übersetzung der Evangelien ins Bosavi aber, gesprochen von einer kleinen, im Regenwald auf dem Großen Papua-Plateau beheimateten Volksgruppe, hat viel tiefer gehende Wirkungen entfaltet. 4
Bevor die Bosavi in den siebziger Jahren zum Christentum bekehrt wurden, war in ihrer Kultur (ähnlich wie im antiken Rom) der Begriff der Aufrichtigkeit unbekannt. Was Menschen öffentlich äußerten, wurde für bare Münze genommen; geheime Gedanken und die Übereinstimmung von äußerlichem Verhalten und innerem Befinden waren ohne Belang. Aufrichtigkeit jedoch – das Gemeinte entspricht dem Gesagten – gehört zum Kern der Botschaft, die die christlichen Missionare im Gepäck hatten. Da die Sprachen der dort lebenden Volksstämme für die Asia Pacific Christian Mission »der Schrein der Seele eines Volkes« waren, wollten die Missionare ihnen die Evangelien unbedingt auf Bosavi nahebringen. Unter ihnen befand sich aber kein linguistischer Anthropologe und auch niemand, der die Sprache fließend sprechen lernte. Hinzu kam, dass die Bosavi ihrerseits meist keine andere Sprache beherrschten: Für Handelskontakte waren sie immer auf Bewohner angrenzender Dörfer angewiesen gewesen, die vermittelt über ein verwandtes Idiom oder in jüngerer Vergangenheit über die regionale Kontaktsprache Tok Pisin übersetzten.
Die Missionare verwendeten das Nupela Testamen , das Neue Testament, übersetzt ins Tok Pisin – allerdings nicht aus dem Lateinischen oder Griechischen, sondern aus einem Text in vereinfachtem Englisch mit dem Titel American Good News Bible , der 1966 erschienen und für Kinder und ungebildete Erwachsene gedacht war. Da sie auf die Mittlersprache angewiesen waren, beschränkte sich der erste Kontakt der Missionare auf eine Gruppe junger Männer, die außerhalb des Siedlungsgebiets der Bosavi
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