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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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arbeiteten und etwas Tok Pisin gelernt hatten. Die Missionare brachten ihnen Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben bei und schickten sie dann auf den Missionsweg. Bei den rudimentären Gottesdiensten, die die frisch Bekehrten in den kleinen Dörfern abhielten, lasen sie erst laut aus dem Nupela Testamen vor und übersetzten dann aus dem Stegreif ins Bosavi, entweder abschnittweise oder nach einem ganzen Absatz. Bei dieser Übersetzungsmethode überrascht es nicht, dass sie im Eifer des Gefechts viele Wörter und Redewendungen aus dem Tok Pisin ins Bosavi einführten. Die eigentliche Wirkung dieser »Sprachwandler« liegt jedoch auf einer tieferen Ebene.
    Bosavi ist eine der zahlreichen Sprachen, die über Evidenziale verfügen, grammatische Formen, die angeben, auf welche Weise etwas gewusst wird – durch Augenschein, durch Hörensagen oder durch Ableitung (siehe S. 204). Das Tok Pisin hingegen hat sie nicht. Als es darum ging, eine Bosavi-Version aus der Tok-Pisin-Version der Good-News-Version einer Bibelgeschichte über den Unterschied zwischen menschlichem Denken und Handeln herzustellen, hatten die frisch gekürten Papua-Missionare ein gewaltiges Problem, verdeutlicht durch die hier kursiv wiedergegebenen Stellen:
    Jesus sprach zu dem Gelähmten: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.« Es saßen da aber Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen : Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten , und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: »Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! 5
    Im Tok Pisin sagt man na long bel belong , wörtlich »in Bauch von ihnen«, wenn man »in ihren Herzen« oder »bei sich denken« zum Ausdruck bringen will, und im Nupela Testamen steht diese Wendung zusammen mit tingting , »denken«, was ausdrückt, dass die Schriftgelehrten zwar etwas »bei sich dachten«, es jedoch nicht aussprachen. Die Bosavi-Dolmetscher konnten Dinge, die erkennbar nicht auf Augenschein gründeten, nicht ausdrücken. In einer Schriftfassung der Übersetzung heißt es, Jesus habe gewusst, was die Schriftgelehrten dachten, weil er es direkt vor sich sah – auf Bosavi ausgedrückt durch das an das Wort »denken« angefügte Evidenzial-Suffix - lo:b . Am Zeilenende befindet sich außerdem der Zusatz a:la : sa:lab , der so etwas wie »heißt es« bedeutet oder jedenfalls nicht denjenigen, der gerade spricht, als Quelle des Wissens benennt, sondern eine äußere Autorität. Die Versionen variierten je nach Prediger und konkreten Umständen so lange erheblich, bis eine aus dem Tok Pisin entlehnte syntaktische Form als neue Möglichkeit zum Ausdruck des Sachverhalts »innerlich gedacht«, zwar gedacht, aber nicht durch laut gesprochene Worte dargetan, akzeptiert wurde: kufa nämlich, wörtlich »in Bauch«, das dem Verb »denken« als Präfix vorangestellt wurde. Übersetzerisches Bemühen hat die Sprache der Bosavi und mit ihr eine ganze geistige Welt verändert. »Geheime Gedanken« sind in der Sprache der Bosavi jetzt »Bauchdenken«, oder, anders gesagt, eine ad hoc improvisierte Sprachvermittlung hat dazu geführt, dass ein Bosavi mit seinem Bauch heute etwas Neues tun kann.
    Die durch das Missionswerk im Leben der Bosavi bewirkten Veränderungen gehen offensichtlich weit über Grammatik und Wortschatz ihrer Sprache hinaus. Dass Bosavi-Sprecher ihr »Innenleben« heute auf andere Weise begrifflich fassen und besprechen können, ist jedoch nicht nur eine Folge ihrer Bekehrung zum Christentum, sondern auch eine direkte Auswirkung des Übersetzens – der Übersetzung der Evangelien aus dem Tok Pisin ins Bosavi.
    In Stellungnahmen zu den Einflüssen, die das Übersetzen auf Empfängerkulturen in ferner oder jüngerer Vergangenheit hatte, ist meist von »bereichern«, »erweitern« oder »verbessern« die Rede. Ganz andere Metaphern aber tauchen auf, wenn wir heute Zeugen desselben Vorgangs werden. Dann heißt es »verzerren«, »verschandeln« und »vereinheitlichen«. Die Rolle der Evidenziale in der Grammatik des Bosavi ist irreparabel geschwächt worden durch die improvisierten Entlehnungen aus dem Tok Pisin,

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