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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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einem wie immer gearteten vertikalen Verhältnis stehen. Gesetze, Vorschriften, Anweisungen und Verträge werden abwärts übersetzt – aus dem Sumerischen, Griechischen und Lateinischen in der Antike, aus dem Deutschen zur Zeit der Habsburger Monarchie, aus dem osmanischen Türkisch in der langen Periode osmanischer Herrschaft im Mittelmeerraum –, in die Landessprachen von Völkern, die diese Gesetze verstehen mussten, betrafen sie doch ihr Leben. Übersetzungen von Romanen, Theaterstücken, philosophischen und mathematischen Abhandlungen und religiösen Texte kommen vielleicht noch hinzu, aber nicht immer. Überall auf der Welt waren solche Lebensverhältnisse der Boden, auf dem Sprecher kulturell dominierender Sprachen die Vorstellung entwickelten, ihre Sprache sei von Haus aus anderen überlegen und der einzig wahre Träger des Geistes. In der muslimischen Welt beispielsweise hegte man in früheren Jahrhunderten kaum Zweifel daran, welche Sprache die beste sei:
    Die vollkommene Sprache ist die Sprache der Araber, und der Gipfel der Redekunst ist die Redeweise der Araber; alles andere bleibt dahinter zurück. Arabisch ist unter den Sprachen wie die menschliche Gestalt unter den Tieren. Wie das Menschengeschlecht sich als höchste Form aus der Tierwelt erhob, so ist die arabische Sprache die höchste Vollendung der Sprache und der Kunst des Schreibens, die von nichts mehr übertroffen werden kann. 4
    Die französischen Grammatiker des 17. Jahrhunderts erkannten bei ihrer Sprache auf ähnliche Qualitäten, und vergleichbare Bekundungen des Glaubens an die Überlegenheit des Griechischen, Persischen, Lateinischen, Chinesischen und wer weiß wie vieler anderer zeitweise führender Weltsprachen ließen sich leicht beschaffen.
    Es liegt auf der Hand, dass es für die Zuschreibung solcher sprachlichen Vorzüge keine rationalen Gründe gibt: In allen Sprachen finden ihre Sprecher alle Mittel vor, die sie zum Erreichen aller von ihnen gewünschten Zwecke benötigen. Aber das Gefühl, dass ein schwieriger fremdsprachiger Text sich erst richtig erschließt, wenn er in die Sprache überführt wird, die wir für ernsthaftes Nachdenken bevorzugen, kann einen sonst vernünftigen Menschen schon in die Enge treiben. Vor Jahren saß ich einmal in einer Bibliothek in Konstanz, vor mir ein Buch von Hegel, den ich unbedingt verstehen wollte und deshalb sehr langsam, einen Bleistift in der Hand, auf Deutsch las. Es war mühsam und ich kam im Grunde nicht richtig dahinter. Ich schaute aus dem Augenwinkel nach der Lektüre des deutschen Studenten neben mir. Er las ebenfalls Hegel – aber in englischer Übersetzung! Na, dachte ich in stummer Erleichterung, wenn sogar Muttersprachler die englische Übersetzung als Wegweiser benutzen … Solche Erlebnisse können – ohne dass man selbst es merkt – zu der tröstlichen Gewissheit führen, dass die eigene Sprache doch diejenige ist, in der man den Dingen auf den Grund kommt. Wie hilfreich eine klärende, erklärende Übersetzung eines fremdsprachigen Texts für einen Leser auch sein mag, wir sollten uns vor dem falschen Schluss hüten, die Zielsprache drücke diesen oder jenen Gedanken »besser« aus.
    Zahlenmäßig zwar bedeutungslos, spielen Übersetzer ins Englische dennoch eine wichtige Rolle auf dem internationalen Buchmarkt. Da aus dem Englischen weltweit am häufigsten übersetzt wird, ist es wesentlich leichter, ein Buch in eine andere Sprache zu bringen, wenn es den Text auf Englisch schon gibt. Englisch ist aber keineswegs die einzige »Brückensprache« auf der Welt.
    Nach wie vor ist Französisch als Zwischenstation für Übersetzungen aus weniger weit verbreiteten Sprachen von großer Bedeutung. Frankreichs stolze Tradition der Offenheit für andere Kulturen ist einer der Gründe dafür. Einige seiner führenden Autoren des 20. Jahrhunderts – Romain Gary, Samuel Beckett, Eugène Ionescu, Andreï Makine und Jorge Semprún zum Beispiel – waren Immigranten und wählten Französisch als Sprache ihrer Literatur. Noch wichtiger für die ungebrochen große Rolle des Französischen bei der Zirkulation kultureller Güter ist ein Grund, der den Verteidigern der französischen Kultur nicht sonderlich behagt: Französisch war lange Zeit die in der englischsprachigen Welt am häufigsten gelehrte Fremdsprache, was sie zur primären Verkehrssprache für englische und amerikanische Verleger und Literaturscouts macht.
    Das Deutsche spielt ebenfalls noch immer eine Rolle für den Transit

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