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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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kleinere –, ist die Übersetzung ins Englische das oberste Ziel. Schreibt ein Autor auf Italienisch, wird er wahrscheinlich ins Spanische übersetzt, und schreibt ein anderer auf Finnisch, wird er mit ziemlicher Sicherheit für die signifikante Minderheit finnischer Staatsbürger, für die Schwedisch die L1 ist, ins Schwedische übersetzt. Spanische oder schwedische Übersetzungen sind wahrscheinlich aber kein Transitweg in die weitere Welt. Ergo, in welcher Sprache ein Autor auch schreibt, entscheidend ist, ob er ins Englische übersetzt wird.
    Englische Muttersprachler sind natürlich für die Nutzung ihrer Sprache als Brücke nicht direkt verantwortlich – sie sind ja die Einzigen, die Englisch als Brücke nicht benötigen. Wie bei allen früheren Verkehrssprachen sind es andere Muttersprachler, die Englisch in dieser Funktion nutzen. Das chinesische Konfuzius-Institut etwa hat ein internationales Gelehrtenteam beauftragt, den philosophischen und literarischen Schatz des klassischen Chinesisch für den Rest der Welt zu erschließen. Das Wujing Project wurde ausdrücklich zu dem Zweck gestartet, die Fünf Klassiker (der gebräuchliche Begriff für einen klassischen chinesischen Kanon, der eine große Zahl von Einzeltexten zusammenfasst, insgesamt 2500 Seiten) in »die wichtigsten Sprachen der Welt« zu übersetzen. Sie werden jedoch nicht aus dem chinesischen Original ins Französische, Deutsche, Spanische, Russische, Arabische, Hebräische, Malaiische und in Hindi übertragen, sondern ihre Verbreitung in die acht genannten Sprachen soll »auf der Grundlage der englischen Übersetzung« geschehen, die nach ihrem Abschluss als Referenztext dient. 9
    Die Lage englischer Übersetzer von Literatur aus Sprachen, die im Rest der Welt nur selten gelehrt werden, ist daher einzigartig. Sie üben nicht nur Einfluss darauf aus, welche ihrer Quelltexte ein Zielpublikum finden, sondern können über den internationalen Rechtehandel und zuweilen auch durch Übersetzungen in beide Richtungen die Tür zum Rest der Welt öffnen oder schließen.
    Die globale Bücherwelt ist nicht, wie sie ist, weil jemand sich das so ausgedacht hat. Mit Englisch als dem alles überstrahlenden Zentralstern, mit Französisch und Deutsch als großen Planeten, mit den äußeren Ellipsen, auf denen Russisch ab und zu die Bahn von Spanisch und Italienisch kreuzt, und mit den unzähligen fernen Trabanten, nicht schwerer als Sternenstaub, ist dieser Kosmos umso bemerkenswerter deshalb, weil er in krassem Widerspruch zu dem Web-ähnlichen Netz interkultureller Beziehungen steht, das die meisten Menschen sich wünschen. Aber dieses Bild von den Bahnen des Übersetzens ist nur eine Metapher. Die Situation, in der sich das Übersetzen weltweit befindet, ist kein natürliches Phänomen, sondern ein kulturelles. Wenn es genügend Menschen gibt, die sie ändern wollen – wird sie sich ändern.

20. EINE FRAGE DER MENSCHENRECHTE: ÜBERSETZEN UND INTERNATIONALES RECHT
    Die Übersetzungswissenschaft, wie sie zurzeit akademisch betrieben wird, konzentriert sich stark auf die Zirkulation von Büchern, vor allem von literarisch wertvollen. Doch trotz der sechsstelligen Zahlen, von denen in unserem Blick auf die Übersetzungsverhältnisse weltweit die Rede war, bildet die Literatur nur einen kleinen Teil der heutigen Übersetzungen.
    Juristische Texte werden in größeren Mengen übersetzt als Bücher und in noch mehr Richtungen. So trist sich das für jeden ausnehmen mag, der nicht Staranwalt ist: Die Übersetzung des Rechts ist eine Voraussetzung für Bau und Erhalt der Weltgemeinschaft. Ohne sie kämen Wirtschaft und Diplomatie zum Stillstand. Aber sie hält eine wichtige Lehre bereit: Das Recht ist der Inbegriff der Unübersetzbarkeit, denn seine Sprache ist ein in sich abgeschlossenes System und verweist auf nichts, was außerhalb liegt. In der Praxis freilich werden Gesetze trotzdem übersetzt, weil es sein muss.
    Im Französischen kann man sagen impossible n’est pas français , wenn man betonen möchte, dass etwas zwar schwierig, aber machbar ist. »Unmöglich« gibt es auch in anderen Sprachen nicht, wenn es ums Übersetzen geht. Übersetzen ist ein Willensakt.
    Laien wissen, warum das Recht unübersetzbar ist. Es ist in einer eigenen Sprache verfasst, die man kaum versteht, und was nicht verstanden wird, lässt sich auch nicht übersetzen. Wir bezahlen unsere Anwälte gut dafür, dass sie uns versichern, sie verstünden das Kleingedruckte in dem Vertrag,

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