Was macht der Fisch in meinem Ohr
von Literatur aus Sprachen, die außerhalb ihrer Herkunftskultur nur selten gelernt werden. Auf Jaan Kross, den estnischen Autor von wunderbaren Romanen wie Der Verrückte des Zaren oder Professor Martens’ Abreise , wurden internationale Scouts aufmerksam, als seine Bücher in deutscher Übersetzung vorlagen. Deutsch gewinnt außerdem als Medium exophoner Literatur seit Kurzem stark an Bedeutung: Es gibt heute japanische, bulgarische und türkische Romanciers, die Deutsch schreiben. Galsan Tschinag, der mongolische Schamane, ist durch die Übersetzung seiner auf Deutsch geschriebenen Romane in vielen anderen europäischen Sprachen zugänglich geworden. 5 Im Mittelalter diente Arabisch als Brückensprache für die Übersetzung griechischer Philosophie in europäische Sprachen – in manchen Fällen in hebräischer Schrift. Zwischen 1880 und 1930 fungierte das Japanische als Relaissprache für die Übersetzung russischer Literatur ins Chinesische. 6 Und sogar noch während der letzten 50 Jahre ist eine Handvoll Autoren auf der Bühne der Weltliteratur erschienen, obwohl sie in Sprachen übersetzt worden waren, die nicht unter den Top 3 rangieren. Dazu gehören etwa Bernardo Atxaga, dessen ursprünglich auf Baskisch verfasste Werke durch die Übersetzung ins Spanische und aus dem Spanischen ins Französische einem größeren Leserkreis bekannt wurden, oder der tschuwaschische Dichter Gennadi Aigi, dessen Verse jeweils aus der russischen Übersetzung ins Englische und Französische übertragen wurden. Die Verwendung von Brückensprachen ist freilich nicht risikolos. Für den weißrussischen Romancier Wassil Bykau zum Beispiel wurde die Übersetzung ins Russische zur Brücke für seinen ersten Auftritt im Weltkonzert der Bücher. Seine sowjetischen Übersetzer wagten es aber nicht, Sinn und Gehalt seiner Werke allzu genau wiederzugeben. In der Alpijskaja Balada ( Alpenballade , 1963) will der Held einem naiven Ausländer sein Land erklären und sagt, dass es irgendwann besser werden wird, weil die Zustände ja nicht für immer erbärmlich bleiben können. In der russischen Übersetzung hieß es an der Stelle, die kollektive Landwirtschaft sei gut. Nach so groben Verzerrungen übersetzte Bykau seine Bücher nach Erscheinen sofort selbst ins Russische und russifizierte seinen Namen zu Wassil Bykow. Dadurch konnten die sowjetischen Behörden ihn als russischen Romanautor präsentieren und verbergen, dass seine Werke ursprünglich in einer (verwandten) anderen Sprache geschrieben worden waren. In Bykows Fall ging ein Autor, der in einer »kleinen« Sprache schrieb, durch das aufwärts -Übersetzen in der regional dominierenden Sprache auf. 7
Jedoch sogar in Regionen, die von solchen politischen Vereinnahmungen nicht betroffen sind, macht sich der Drang kleinerer Sprachen hin zu dominierenden größeren immer wieder bemerkbar. Im ausgehenden 19. Jahrhundert schrieb ein Leitartikler für die Tageszeitung Yomiruri Shimbun , sein Land habe der Welt mehr zu geben als den Fuji und den Biwa-See – es besitze herrliche Literatur wie die Geschichte vom Prinzen Genji oder Kyokutei Bakins Epos Hakkenden . Die Distanz zwischen dem Japanischen und den europäischen Sprachen sei aber so groß, dass er Übersetzungen nicht für realisierbar halte.
Mögen unsere künftigen Autoren noch so bedeutend sein, ihr Ruf wird sich niemals über die Grenzen unseres Landes verbreiten … Und daher möchte ich den bekannten Geistesschaffenden in aller Welt den Rat geben, es auf sich zu nehmen und auf Englisch zu schreiben … Es versteht sich heute von selbst, dass einer, der Großes vorhat, lernen sollte, sich auf Englisch auszudrücken. Er lerne die Sprache und strebe an, seinen Ruhm durch ihre Verwendung auch im Ausland erstrahlen zu lassen. Ein Ansehen, das man nur auf dieser kläglichen Inselkette genießt, ist nicht viel wert. 8
Wie für eine Kultur typisch, die sich in dieser Hinsicht am Rand des Weltgeschehens wähnt, zog der japanische Journalist eine Schlussfolgerung, der sich in den vergangenen hundert Jahren viele angeschlossen haben. Maryse Condé, die berühmte französische Autorin aus Guadeloupe, hat bekannt, dass sie, wäre sie 50 Jahre jünger, wohl Englisch als ihre Literatursprache gewählt hätte und nicht Französisch. Edwidge Danticat, eine französischsprachige Autorin aus Haiti, die 50 Jahre jünger ist , hat das gerade getan.
Schreibt jemand in einer kleineren Sprache – und alle Sprachen, sogar Französisch, sind heute
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