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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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1789 ein erstes Denkmal gesetzt wurde: 1946 erhielten Frauen in Frankreich das Stimmrecht und waren von nun an Bürger im selben (oder beinahe demselben) Sinne wie Männer. Das seit jeher im Sinne von Mensch gebräuchliche homme geriet in den Ruch, diskriminierend zu sein. In den siebziger Jahren forderten französische Feministinnen lautstark eine parallele Erklärung der droits de la femme , obwohl eine solche, wäre es je dazu gekommen, Frauen mit größter Wahrscheinlichkeit von den Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausgeschlossen hätte – was, gelinde gesagt, nicht im Sinne der Erfinderinnen gewesen wäre.
    Die deutschen Menschenrechte hätten das Problem für jedermann gelöst, aber Deutsch ist keine offizielle Sprache der Vereinten Nationen. 3 Und so war es die englische adjektivische Wendung, die in fast alle anderen europäischen Sprachen der deutschen und romanischen Sprachfamilien zurücktransportiert wurde – italienisch diritti umani , spanisch derechos humanos , schwedisch mänskliga rättigheter und so weiter.
    Im französischen Ausdruck droits humains steckt jedoch ein echtes Problem: humain bedeutet, ohne dass beides sich scharf voneinander trennen ließe, was wir auf Englisch mit human (deutsch »menschlich« in Bezug auf den Menschen als Person oder Individuum) und mit humane (deutsch »menschlich« im Sinne von human) bezeichnen. Die Menschenrechte in standardsprachlichem Französisch droits humains zu nennen rückt sie näher an humanitäre oder humanistische Anliegen heran, die nicht der wichtigste Zweck von Gesetzen zu den Menschenrechten sind.
    Diese sprachlichen Unklarheiten haben dazu geführt, dass der Begriff der »human rights« in vielen internationalen Urkunden, die sich mit ihnen beschäftigen, nicht mehr vorkommt: Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966), der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966), das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1979) und das Übereinkommen gegen Folter (1984) – sie alle meiden ihn, und sogar Europa, wo er ursprünglich geprägt wurde, fand es nötig, ihm im Titel der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1953) eine Ergänzung zur Seite zu stellen. Während sich die in dem Begriff »human rights« gebündelten Vorstellungen mit der Zeit immer weiter verbreiteten, verblasste er als juristischer Terminus. Als er im allgemeinen Sprachgebrauch ankam, war er im juristischen verschwunden. Wie es auch der Systematik der Rechtssprache entspricht.
    Damit geriet das Französische in eine missliche Lage. Wegen der historischen Vorreiterrolle des revolutionären Dekrets von 1789 ist Frankreich nicht bereit, auf das zu verzichten, was es noch immer als die klassische, transparente Fassung dieses Gedankens ansieht.
    Die Lösung bestand darin, die Sprache so zu verändern, dass der alte Ausdruck weiter verwendet werden kann. Das Wort Homme mit großem Anfangsbuchstaben bezeichnet heute Männer wie Frauen gleichermaßen und ist erklärtermaßen die genaue schriftliche Entsprechung des deutschen Worts Mensch , wohingegen homme mit kleinem Anfangsbuchstaben nur Männer bezeichnet. Obwohl die Unterscheidung sogar rechtlich einklagbar ist, tun manche sich mit dem Einprägen schwer. Ich habe viele Zeitungsartikel gelesen, in denen homme abwechselnd mal in Groß-, mal in Kleinschreibung anstelle des jeweils anderen verwendet wird.
    Das Russische wiederum verwendet sogar noch in seiner aktuell gültigen Verfassung einen Ausdruck, der wie eine Nachahmung der französischen Formulierung aus dem 18. Jahrhundert anmutet: права и свободы человека и гражданина (»Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers«), mit einem männlichen Singularetantum in generischer Verwendung, dessen Bedeutung »Mensch« dem heutigen französischen Verständnis von Homme entspricht.
    Trotz dieser ans Französische angelehnten Lösung für die Schwierigkeiten einer Wendung, die auf Französisch ins Leben trat und es heute plagt, hat die englische Adjektiv-plus-Nomen-Lösung (»human rights«) Einzug in fast alle europäischen Sprachen gehalten. Obendrein hört man dem französischen Sprachengesetz zum Trotz immer öfter, dass droits humains als funktionelles Äquivalent von droits de l’Homme verwendet wird. Rama Yade, als Staatssekretärin im Außenministerium von 2007 bis 2009 »chargée des droits de

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