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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Zeichencharakter. Ebenso ist der Unterschied zwischen den Lauten, die üblicherweise als l und r geschrieben werden, Teil des Deutschen, des Japanischen aber nicht. Die Unterschiede abzubilden, deren man sich in einer Sprache bedient, heißt, die Struktur dieser Sprache selbst abzubilden.
    Nach Saussures Sprachauffassung ist jede existierende Sprache sui generis , von eigener Art, das heißt, ein in sich kohärentes System, das sich niemals befriedigend auf ein anderes übertragen lässt. Daraus folgt automatisch, dass kein Zeichen einer beliebigen Sprache vollständig mit einem Zeichen eines beliebigen anderen und einzigartigen Zeichensystems gleichgesetzt werden kann. Das gesamte 20. Jahrhundert hindurch lieferte die Saussure’sche Lehre einen Grund dafür, vom Übersetzen abzusehen und die Mittel gering zu schätzen, die es für ein Verstehen des Sprachgebrauchs bietet.
    Saussure hatte sicher nicht das Recht im Sinn, als er diese fruchtbaren Gedanken verfolgte, und doch lässt sich seine Zeichentheorie darauf anwenden. Das Recht ist die systematische Verwendung von Sprache, deren innere Geschlossenheit von der Präzision abhängt, mit der sie zwischen ihren einzelnen Begriffen differenziert. In der Rechtssprache jedes beliebigen Landes ist »Mord« das, was das Gesetzbuch und die Akten zu den Fällen, in denen Recht gesprochen wurde, sagen – und nicht das, was das normalsprachliche Zeichen »Mord« nach Laienansicht bedeuten mag. Das Recht ist ein Zeichensystem.
    Rechtssysteme unterscheiden sich durch ihre jeweilige Geschichte, ihre Normen, ihre Unterscheidungskriterien und ihr Prozedere. Und selbst wenn die Sprachen unterschiedlicher Rechtssysteme gleich aussehen – wie etwa im Englischen und Schottischen –, sind die von ihnen verwendeten Begriffe nicht austauschbar. Jedes ist wirklich sui generis , gebildet nur von den besonderen Unterscheidungen, die es trifft. Deshalb kann man juristische Sprache nicht übersetzen – muss es aber trotzdem.
    Beschuldigte haben in vielen Teilen der Welt einen Rechtsanspruch darauf, ihr Gerichtsverfahren zu verstehen, und die Gerichte sind verpflichtet, Übersetzer und Dolmetscher zu finden, ganz gleich, um welche Sprachen es sich handelt. Oftmals müssen sie weite Wege gehen. Vor 30 Jahren landete bei mir einmal die Anfrage nach einem Englisch-Ungarisch-Dolmetscher für einen Mordprozess im ländlichen Schottland. Die Tapfere, die diese einschüchternde Aufgabe schließlich übernahm, hatte noch nie zuvor einen Gerichtssaal gesehen und verstand von dem, was dort verhandelt wurde, kaum mehr als der Beschuldigte selbst. Im Bundesstaat New Jersey beschäftigen die Gerichte heute viele hundert meist in Teilzeit tätige Dolmetscher, vor allem für Spanisch, die schlecht entlohnt und kaum angeleitet werden. In New York City, wo es nicht weniger als 140 Sprachen gibt, ist die Beschaffung von Sprachmittlern für die Gerichte eine gewaltige behördliche Aufgabe. Auch in Südafrika mit heute elf Amtssprachen ist das Gerichtsdolmetschen oft ein einziges Fiasko. 2 Die Sprachenrechte von Minderheiten sind bedeutende Errungenschaften, ihre Durchsetzung lässt häufig aber noch viel zu wünschen übrig.
    Gerichtsdolmetschen der genannten Art findet innerhalb ein und desselben Rechtssystems statt: Verfügt die Minderheitensprache nicht über einen genau entsprechenden Begriff – für »Ankläger«, »Verteidiger« oder »Kronanwalt« beispielsweise –, wird meist der quellsprachliche Begriff verwendet, der ja auch die sachlich richtige Bezeichnung für die fragliche Person oder Angelegenheit ist. Der Dolmetscher muss gegebenenfalls aber Erläuterungen hinzufügen oder das Gesagte noch einmal mit anderen Worten wiedergeben, um zu gewährleisten, dass nicht nur das Gesprochene, sondern auch der Inhalt und die Bedeutung eines verwendeten Ausdrucks in der realen Welt verstanden werden. Das ist eine schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe. Sie wird kaum als solche anerkannt.
    Juristisches Übersetzen zwischen den Amtssprachen von Ländern, die mehr als nur eine haben – Kanada, Belgien oder Finnland beispielsweise –, ist nicht gerade leicht, wird in der Regel aber besser vergütet und ist weniger anstrengend, zum Teil deshalb, weil die Übersetzer selbst eine juristische Ausbildung haben. Das Problem der Inkommensurabilität von Rechtssystemen stellt sich hier eigentlich nicht, da es sich um dieselben Rechtsbegriffe handelt, die in beiden Amtssprachen ausgedrückt werden müssen.

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