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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Dennoch muss beiden sprachlichen Versionen zwingend dieselbe Rechtsauslegung zugrunde liegen. Und das ist in Anbetracht des Anisomorphismus der Sprachen häufig nur mit Mühe zu schaffen. In solchen Fällen neigt das juristische Übersetzen zu einer Vereinheitlichung der Sprachen – schafft ähnlich klingende formale Entsprechungen in beiden Versionen des Rechts – und minimiert so das Risiko, dass ein gewiefter Anwalt eine sichtbare sprachliche Diskrepanz zwischen zwei Fassungen desselben Texts ausnutzt.
    Die tendenzielle Angleichung der Sprachen des Rechts beim Übersetzen dürfte zwei Gründe haben: zum einen ziemlich naive Vorstellungen davon, wie Sprache funktioniert, zum anderen das berechtigte Anliegen, dass Gesetze von allen, für die sie gelten, gleich verstanden werden. Den offenbar unaufhaltsamen Trend zu einer vereinheitlichten transnationalen Rechtssprache kann man etwa an der Geschichte der Wörter ablesen, mit denen das allgemeinste und alle nationalen Rechtssysteme übersteigende Prinzip ausgedrückt wird – die elementaren Menschenrechte.
    Im Jahr 1789 entwarf die neue Revolutionsregierung in Frankreich ihre berühmte Erklärung der Menschenrechte und nannte sie Déclaration des droits de l’homme et du citoyen . Ihr Zweck war, das religiöse und feudale Fundament des aus der Monarchie überkommenen Rechtssystems niederzureißen und, ermächtigt von einem Höchsten Wesen, das – bei Gefahr, sonst wie eine Beruhigungspille für die Katholische Kirche zu wirken – nicht Gott genannt werden durfte, die Grundrechte des Bürgers in seiner Beziehung zu dem neuen französischen Staat niederzulegen.
    Diese Rechte allen zuzuerkennen, die noch keine mündigen Bürger waren, stand nicht zur Debatte. Bis dahin hatte niemand daran gedacht, die Frauen einzubeziehen – die 1791 von Olympe de Gouges veröffentlichte Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne blieb noch viele Generationen lang praktisch bedeutungslos. Das männliche Wort homme zu verwenden war daher nicht bloß sprachlich zweckmäßig, sondern entsprach dem Inhalt der Erklärung. Sie begründete und verkündete die Rechte männlicher Personen, die zugleich Staatsbürger waren.
    Im Gegensatz zum Französischen oder Englischen hat das Deutsche mit »Mensch« ein Wort, das Männer und Frauen gleichermaßen bezeichnet: Ein Mensch ist einfach ein Angehöriger des Menschengeschlechts. Die Wendung »droits de l’homme« wurde daher selbstverständlich als »Menschenrechte« wiedergegeben – und nicht etwa als Männerrechte , um die Geltung des Begriffs nicht sinnwidrig auf eheliche oder häusliche Angelegenheiten zu beschränken. Die Erklärung der Menschenrechte musste sogar schon wenige Jahre nach ihrer Verkündung ins Deutsche übersetzt werden, da große Teile des heutigen Deutschlands von Frankreich annektiert und in die Republik und dann ins Kaiserreich eingegliedert wurden, eine Herrschaft, die allerdings 1814 wieder endete.
    Da man Mensch nicht direkt ins Englische übersetzen kann, ohne dem Wort etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, wurde es üblich, Menschenrechte im Englischen als Human Rights zu bezeichnen, obwohl mit Thomas Paine und seiner Streitschrift von 1791 die Wendung »Rights of Man« berühmt geworden war. Die englische Formel »verallgemeinerndes Adjektiv plus Nomen im Plural« (human + rights) ist die dritte sprachliche Version eines Begriffs, der als Wendung der Bauform »Nomen im Plural plus Nomen im Singular, durch Genitiv verbunden« (droits + de + l’homme) gestartet und durch ein Zwischenstadium eines Substantivkompositums, dessen beide Teile im Plural stehen, hindurchgegangen war (Menschenrechte) . Mit den veränderten grammatischen Formen gingen feine Verschiebungen der eigentlichen Bedeutung einher, die sich erst später zeigten. »Human rights« war ursprünglich als »Übersetzung« von les droits de l’homme et du citoyen gedacht, drückte aber etwas mehr und etwas weniger aus. Im weiteren Verlauf gewann die Wendung ein Eigenleben und eine Eigendynamik.
    Seit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 setzte sich Eleanor Roosevelt, die Witwe des amerikanischen Präsidenten, mit all ihrer Kraft für die Ausarbeitung einer Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein, die 1948 auch offiziell verabschiedet wurde. In der offiziellen französischen Version heißt sie Déclaration Universelle des Droits de l’Homme . Ein wichtiger Umstand hatte sich jedoch verändert, seit der Wendung droits de l’homme

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