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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Moore munter, innerlich aber mit dem leicht mulmigen Gefühl, daß jetzt die Karten auf den Tisch kämen: Er hatte keine Ahnung, wo Vic wohnte.
    »Da kommen dauernd diese Briefe für seine Freundin an. Fünf oder sechs stapeln sich schon in meinem Flur. Außerdem sieht es so aus, als wären sie vielleicht wichtig: Sie sind alle von irgendeinem Krankenhaus...«
    Seine Freundin: Moment mal... ich hab doch irgendwo immer noch diese Visitenkarte, dachte Chris Moore. Klar, das war’s, und außerdem hieß das, daß er mit ihm so vertraut war, daß er sogar seine Freundin kannte.
    »O jaah, Trish! Tolle Frau!«
    »Nein, Tess oder Tessa, glaube ich.«
    »Ja, genau. Gib mir die Briefe einfach, ich bring sie bei ihm vorbei.«
    »Gut.« Francis ging zur Hintertür des Ladens hinaus; während er in dem Berg von Post im Nebenflur wühlte, konnte er hören, wie Chris Moore bei »Femme Fatale« völlig danebengriff. Mit fünf amtlichen braunen Umschlägen mit dem üblichen Adressenfenster in der Hand kam Francis wieder in den Laden, drückte Chris Moore die Briefe in die Hand, und der gab ihm die Gitarre zurück.
    »Die Tonabnehmer dröhnen ein bißchen«, sagte er und wedelte mit der Hand, wobei die Umschläge tanzten.

JOE

    I n den ersten Monaten nach Emmas Tod vergrub sich Joe in Arbeit. Sie verschaffte ihm — in seinem Fall buchstäblich — einen versiegelten Raum, in dem er von Leuten oder Dingen abgeschnitten war, die vielleicht schmerzliche Erinnerungen in ihm weckten. Außerdem stellte er fest, daß er mit der völligen Hingabe an seine Forschung in sich selbst eine zusätzliche Isolierzelle schuf, weil die erforderliche Konzentration keine anderen Gedanken zuließ; die endlose Wiederholung von Experimenten und deren Auswertung und wieder neuem Experimentieren war hypnotisierend wie eine Autobahn bei Nacht. Allerdings war seine derzeitige Einstellung zu seiner Arbeit alles andere als entspannt. In der Kantine bei Friedner redeten seine Untergebenen darüber, daß er das Labor in letzter Zeit nicht mehr wie ein gütiger Professor leitete, sondern eher wie ein besessener Superboß. Völlig gegen sein früheres Wesen und Temperament wurde er jetzt schnell und leicht ärgerlich, wenn er meinte, Faulheit oder Inkompetenz bei seinem Laborpersonal zu entdecken. Seinen Vorgesetzten ging er ganz aus dem Weg, und wenn Jerry Bloom anrief, gab er immer vor, er sei zu beschäftigt, um ans Telefon zu gehen, weil er fürchtete, Jerry würde ihm nur wieder neue Aufgaben aufzwingen, die ihn von der Aids-Forschung ablenkten. Mehr denn je fühlte er sich getrieben, ein Heilmittel zu entdecken: so als ob seine Arbeit in gewisser Weise eine Vergeltung sei — eine Rache am Tod.
    Das bedeutete, daß sein Personal völlig überlastet war, weil es alle Nicht-HIV-Arbeit, auf der Jerry Bloom in seinen Memos bestand, sozusagen hinter Joes Rücken einschieben mußte, wann es konnte. Was der Grund dafür war, warum Marian Foster regelrecht erschrak, als sie ihn eines morgens über die Grey Lady gebeugt antraf. Sie war an dem Tag besonders früh gekommen, weil sie eine Testserie unter dem Spektrometer für ein neues erweichendes Mittel beenden wollte, bevor Joe auftauchte. Sowieso schwierig, weil er in letzter Zeit täglich früher kam, aber halb acht war selbst für Joe ungewöhnlich.
    »Hallo?« rief sie ihm zu, während sie ihren Straßenmantel aufhängte. Er blickte hoch, blinzelte wie immer, um seine Augen an das Neonlicht zu gewöhnen; trotzdem fiel Marian auf, daß sie noch roter waren als sonst. Er sah aus wie einer, der aus einem tiefen Traum erwacht, und getreu diesem Bild rieb er sich jetzt mit den Fäusten über die Augen.
    »Warum bist du noch mal wiedergekommen?« fragte er, als er mit dem Augenreiben fertig war.
    Sie lachte. »Was soll das heißen? Ich arbeite hier. Was bedeutet, daß ich jeden Tag wiederkommen muß. Schlimm genug, wenn du mich fragst!«
    Joe blinzelte sie an, drehte den Kopf um 180 Grad und ließ die Augen durch den vertrauten Raum wandern, als sähe er ihn zum ersten Mal. Draußen vor dem langen Fenster war der Himmel ein fahles Blau.
    »Wie spät ist es?« fragte er schließlich.
    Sie blickte auf ihre Uhr, überflüssigerweise, denn das hatte sie gerade eben schon getan, als sie ihn hier entdeckte. »Kurz nach halb acht.«
    Sein Gesicht sah aus, als zucke er die Achseln, aber die rührten sich nicht. Er schob das Mikroskop beiseite. »Hhm. Kannst du mir einen Kaffee machen?«
    »Bitte?« Sie hob eine

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