Was man so Liebe nennt
mußte er auf die Felder zurück, neu pflanzen und die Stöcke von neuem kultivieren. Dabei wollte er nichts anderes als die Hähne von den Fässern schrauben und heimgehen. Seit sie hierhergekommen war, gab es außerdem dauernd Gerede von neuen Methoden — Filtrierung und Säureregulierung und Chaptalisation, was immer das war. Jesus wollte sie mit nichts und um keinen Preis davon abhalten, diese drei Flaschen zu probieren und einzusehen, daß das alles nicht nötig war, daß die Weine, die sie seit über sechzig Jahren in Santo Domingo machten, gut waren, so wie sie waren — Weine, die einst El Generalissimo persönlich vom Castillo bestellt hatte, obwohl gemunkelt wurde, er hätte sie nur getrunken, um die Separatisten zu ärgern.
Señorita Carroll goß den Wein aus der ersten Flasche in ihr rauchgrünes Stengelglas.
»Tempranillo...«, sagte Jesus. Señorita Carroll setzte das Glas an die Lippen, dann machte sie eine Pause; hinter dem dunklen Glanz ihrer Sonnenbrille starrten ihre Augen einen Moment ins Leere, dann schlossen sie sich.
» Gracias, Jesus«, sagte sie und verstärkte die Kipplage von ihrem Glas. Jesus, sagte sie zu ihm, so wie die Engländer seinen Namen immer aussprachen, Dschieses, und irgendwas an dem Genuschel erweckte in Jesus immer den Verdacht, daß es ein Witz auf seine Kosten war. Er überlegte, ob er ihr nicht noch mal sagen sollte, wie der Name auf Spanisch ausgesprochen wurde — Jesus, mit einem harten, kehligen Ch und einem deutlich betonten sus — , aber wieder ermahnte er sich, daß der Moment jetzt für so was zu wichtig war.
Señorita Carroll schluckte den Wein hinunter. Jesus war fassungslos: Das hatte er noch nie erlebt, nicht bei den Leuten, die von Berufs wegen Wein probierten, auch nicht bei denen, die aus Barcelona herkamen, um sich ein paar Kisten zu kaufen, und schon gar nicht bei einem der anderen Castillo-Verwalter vor ihr. Ganz besonders Señor Correga: Der hatte das Ausspucken regelrecht zelebriert, so daß Jesus über die Jahre hinweg an der Art, wie er ausspuckte, immer sofort erkannt hatte, was er von einem Wein hielt. Und einen endgültigen Platz in Jesus’ Herzen hatte er sich erobert, als er damals die Flasche Txacoli probierte, die Rebe, die für Jesus der Geist von Santo Domingo war, die wahre Rebe der Region; da hatte er den Wein mit solcher Heftigkeit und einem so dröhnenden »Pah!« in den Silberkübel gespuckt, den Jesus ihm hinhielt, daß Jesus schon glaubte, er hätte nach Korken geschmeckt; aber statt dessen hatte sich Señor Corrego mit dem Seidentaschentuch, das er immer in seiner Brusttasche trug, kräftig über den Mund gewischt, ihn mit zornesfunkelnden Augen angesehen und gesagt: »Dieser Wein schmeckt nach Spanien .« Und Jesus hatte mit Freuden die Fässer in den Abguß geschüttet, wieder von vorn angefangen und gewußt, daß der Mann, für den er arbeitete, ein Bruder war.
Señorita Carroll nahm noch einen Schluck und tippte dann etwas in das Notebook vor ihr. Jesus konnte nicht sehen, was es war, außerdem war sein Englisch sowieso ziemlich kümmerlich. Er fühlte sich ausgeschlossen, wie ein Kind, das zusieht, wie sein Lehrer einen Brief an die Eltern schreibt, den es selbst nicht lesen darf. Warum konnte sie ihm nicht rundheraus sagen, was sie von dem Wein hielt?
»Okay...«, murmelte sie und stellte das Notebook aus. » Bueno. Ich spreche mit Vaquero. Wie viele Fässer haben wir bis jetzt produziert?«
» Ocho. Acht.«
»Gut. Stoppen Sie die Produktion vorläufig hier. Ich spreche heute abend mit ihm, und morgen gebe ich Ihnen Bescheid, wie viele Fässer ich in dieser Saison noch davon haben will. Okay?«
Jesus stand eine Weile da, unsicher, was er sagen sollte. Señorita Carrol guckte auf ihre Armbanduhr und hob dann den Kopf, als lausche sie auf etwas.
»Ist noch was, Jesus?« sagte sie, als hätte sie gerade erst gemerkt, daß er noch da war.
» Si, Señorita .« Nicht nur wegen seines spärlichen Englisch kämpfte er um Worte, wie er es ihr beibringen sollte. »Ich habe Ihnen drei Flaschen gebracht. Es ist am besten, den Vino aus allen dreien zu probieren.«
Señorita Carroll schob sich die Sonnenbrille hoch auf den Kopf, wobei ein paar Haarsträhnen über die Gläser fielen. »Sie sind doch alle aus demselben Faß, oder?«
» Si, Señorita. Aber ich lasse den Wein eine Weile in den Flaschen ruhen. Weil jede Flasche anders ist.« Er tippte auf die erste, die dreiviertel voll auf dem schwarzen schmiedeeisernen Tisch
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