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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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hohles, leises Winseln. Seine Augen wanderten eine Bücherreihe entlang: Freud, Freud verstehen, Das Lancansche Unbewußte, Tod und Ego, Vom Selbst sprechen.
    »Ich glaube nicht, daß die Psychoanalyse davon ausgeht, daß es keine äußeren Probleme gibt. Sie weiß im Gegenteil sehr genau, daß wir alle jeden Tag mit sehr konkreten Problemen konfrontiert sind. Aber Sie stimmen mir doch bestimmt zu, daß wir alle mit diesen Problemen auf unterschiedliche Weise umgehen können.« Er antwortete nicht. »Und daß es also bessere und schlechtere Wege geben kann, mit einem Problem fertigzuwerden. Und meine Aufgabe ist es vielleicht einfach, Ihnen zu helfen, den besseren Weg zu finden.«
    »Aber...«
    »Wenn jemand stirbt«, sagte sie, und Joe dachte, es ist doch sicher eine eiserne Regel, einen Patienten nicht zu unterbrechen, »dann sträuben wir uns oft gegen alles, was unseren Kummer mildern könnte. Weil es uns vielleicht wie eine Art Verrat vorkommt — an dem Verstorbenen. Wir machen uns Vorwürfe, weil wir das Gefühl haben, daß wir ihn im Stich lassen, wenn wir nicht von morgens bis abends völlig niedergeschmettert sind über seinen Verlust.«
    »Hören Sie zu«, sagte Joe, schwang die Füße von der Couch und setzte sich aufrecht hin, »das Ganze hier ist genau das, was ich nicht wollte. Daß jemand mir erzählt, was ich fühle.«
    »Ich erzähle Ihnen nicht...«
    »Das tun Sie verflucht noch mal sehr wohl.« Er drehte sein Gesicht zu ihr hin. »Sie kommen mir mit haargenau dem Quatsch, den ich von einer Therapie erwartet habe.«
    Sie sah ihn an, ungerührt, auch wenn sich das leise Sopranpfeifen jetzt ein klein wenig lauter über ihren Atem erhob.
    »Nun«, sagte sie, »auch auf die Gefahr hin, daß es für Sie noch mehr nach Therapeutenquatsch klingt... ich glaube, wir haben es hier mit einer Menge Wut zu tun.«

JESUS

    J esus’ Gesicht war so zerknittert und zerfurcht, daß eine ungerührte Miene zu machen so gut wie unmöglich für ihn war. Mit Falten im Gesicht ist man buchstäblich gezeichnet: Wie Stummfilmschminke unterstreichen sie jeden Ausdruck, lenken den Blick des Betrachters wie Pfeile auf Augen, Mundwinkel und Nasenflügel — all die Punkte im Gesicht, wo sich die Umsetzung von Gefühl in Ausdruck am eklatantesten vollzieht. Und Jesus, inzwischen ein alter Mann, der die meiste Zeit seines Lebens im Freien verbracht hatte, seine Haut der gnadenlosen Sonne ausgesetzt, hatte als Folge davon keinen Zufluchtsort für seine Mimik: Das winzigste ärgerliche Zucken mit dem Mund, das leichteste ungeduldige Stirnrunzeln, ein kaum merkliches skeptisches Heben der Braue — all das vergrößerte sich tausendfach in seinen Zügen und Falten und zog wie bei einem Dominoeffekt in Wirbeln und Strudeln über sein Gesicht. Also gab er sich große Mühe und richtete sein ganzes Augenmerk darauf, sein Gesicht still zu halten — während Señorita Carroll aus der ersten der drei Flaschen trank, die er ihr von der neuen Lese auf der Ostseite des Weinguts gebracht hatte, wo die bernsteinfarbene Ebene staubig zum Cap de Creus hin abfällt.
    Es war wieder ein brütendheißer Tag, obwohl das in diesem Teil Kataloniens im August eigentlich eine überflüssige Bemerkung ist. Aber so wie die dicken, vorstehenden Sandsteine des Castillo de Santo Domingo die Sonnenstrahlen in die Mitte des Hofs zurückwarfen, verdoppelte sich die Hitze noch, wie bei den Steinöfen, auf denen manche Frauen in Peralada immer noch kochten. Señor Corrego hätte sich nicht hierher gesetzt, um den Wein zu probieren, dachte Jesus, ihm wäre klar gewesen, daß die Hitze den Wein genauso vermanscht wie den Kopf. Aber dann verscheuchte Jesus den Gedanken so schnell wieder, wie er gekommen war; er wußte ja, er würde sonst in seinem Gesicht wiedergeboren. Am besten, er dachte gar nicht erst daran, was er von ihr hielt, wie verkehrt es für sein Gefühl war, daß diese Frau hier tat, was eigentlich Männersache war, und dazu auch noch eine Engländerin; was konnte die schon von Wein verstehen, besonders von seinem Priorato? Aber all das mußte tiefer in seiner Seele vergraben werden als die Wurzeln der Weinstöcke, die er Jahr für Jahr in die Erde einbuddelte. Denn wenn sie solche Gedanken in seinem Gesicht las, dann würde sie aus schierem Trotz behaupten, der Wein wäre nicht gut genug — Frauen waren so, handelten aus solchen Launen heraus. Er hatte nicht achtundsechzig Jahre umsonst in ihrer Gesellschaft zugebracht, er wußte Bescheid. Und dann

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