Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
Vom Netzwerk:
seine Stimme inzwischen über den Wind erheben. »Es erinnert mich an etwas.«
    »Woran denn?«
    »An einen von diesen Comic-Superhelden.«
    »Ja...?« rief sie zu ihm zurück, ohne sich umzudrehen. Sie war ihm ein Stück voraus; offenbar war sie mehr an die Landschaft hier gewöhnt, und es fiel ihr leichter, über die Felsspalten zu hüpfen, obwohl sie nur Sandalen anhatte. In London hätte er nie geglaubt, daß sie ein solches Naturkind war.
    »Na, an diesen Kerl, diesen Giganten, dessen Körper wegen irgendwas zur Strafe mit Felsbrocken bedeckt wird, und der sich dann wie ein kolossales rotes, zerklüftetes Gebirge aus der Erde erhebt.« Jetzt bekam das Pfeifen des Winds Unterstützung vom Brausen des Meers, das so wild die rauhen Klippen hochpeitschte, daß man meinte, es läge längst nicht so tief unterhalb. Vor seinem geistigen Auge sah Joe die Wogen gegen die Felsen schlagen und ihre Schaumkronen zerstieben. »So fühlt sich das hier an. Als stiege man über den mit Geröll bedeckten Koloß.«
    Als sie oben vor dem Restaurant stand, drehte Tess sich zu ihm um. Joe stieg die letzten Meter zu ihr hoch und lächelte sie entschuldigend an, teils, weil er so außer Puste war, teils wegen seines Vergleichs. Er erwartete, daß sie vorausging, aber sie stand still da und blickte hinaus über die baumlosen Klippen. Der Wind blies ihr das lange schwarze Haar ins Gesicht und bedeckte es wie ein Schleier.
    »Weißt du, Joe, lange Zeit habe ich geglaubt, ich hätte irgendwie das Hirn eines Manns. Daß ich eher wie ein Mann denke, nicht wie eine Frau.« Er nickte. »Aber eins ist mir inzwischen klar: Egal wie ich auch denke, jedenfalls nicht wie ein Mann. Weil Männer nämlich gar nicht wie Männer denken.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie denken wie kleine Jungen.«
    Joe war ein wenig vor den Kopf gestoßen, aber als sie ihm den Kopf zuwandte und ihm mit einem resignierten, aber zärtlichen Blick zu verstehen gab, daß sie ihn nicht kritisierte, fühlte er sich wieder gut, jedenfalls für den Augenblick.

    Sie waren die einzigen Gäste im Restaurant. Ein junger Mann undefinierbarer Nationalität mit blonden Dreadlocks, die dicker als Schiffstaue waren, servierte ihnen Tintenfisch in Terracottaschalen. Die Fensterscheibe neben ihnen klapperte im Wind. Hier drinnen empfand Joe die Landschaft sogar als noch feindseliger, denn der wacklige Zufluchtsort machte ihm die Macht der Elemente dort draußen noch deutlicher; wie sie, wenn sie wollten, die Hütte einfach hoch in die Luft wirbeln konnten oder ins Meer hinabstürzen. Die beängstigend dünnen Wände um sie herum waren mit Reproduktionen von Dalis bedrohlichen Visionen der katalanischen Landschaft behängt.
    »Also...«, sagte Tess und schob ihren Teller beiseite — Joe bemerkte, daß sie ihn leer geputzt hatte, während er gerade drei Bissen geschafft hatte —, »um deine Frage zu beantworten: Er fing an, über Kinder zu reden.«
    Fast wie in einer Comedy-Nummer spuckte Joe seinen Tintenfisch aus, so wie Terry seinen Tee, als June ihm sagt, gleich käme der Vikar vorbei.
    »Vic? Kinder? Bist du sicher?«
    »Ja. Genauso habe ich reagiert. Deshalb wurde mir klar, daß irgendwas schrecklich faul war. Vic, der Mann, der immer behauptete, Babies wären Memmen.«
    »Memmen?«
    »Jaaah. Weil sie schon daran sterben konnten, einfach im Bett zu liegen. Sie hätten nicht mal genug Mumm, ein paar Decken und ein nettes Schlummerstündchen zu überleben.« Joe lächelte. Sie wischte die Hände am Tischtuch ab und verlor ihren wehmütigen Ton: »Aber es ging nicht bloß darum, daß er plötzlich Kinder wollte. Irgendeinem verborgenen Teil von mir hätte das sogar gefallen: Ich meine nicht Kinder an sich — aber wenn ein Mann wie Vic sich wegen mir so ändert, daß er Kinder haben will...« Ihr Gesicht wurde entwaffnend ehrlich: »Das wäre doch so was wie ein Triumph gewesen.«
    »Und...?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Aber es hatte gar nichts mit mir zu tun. Was sich in ihm abspielte, weiß ich nicht. Nur, daß es dabei gar nicht um mich ging.« Sie blickte durch das klappernde Fenster aufs Meer hinaus, und dann sah sie Joe wieder an. »Du weißt ja, daß ich eine Zeitlang glaubte, er hätte eine Affäre.« Joe nickte; in der Tat, natürlich wußte er das. »Er hat es nie zugegeben. Und ich glaube, es war sowieso zu Ende. Aber danach hatte ich immer mehr das Gefühl, daß er in unsere Beziehung etwas hineinlegte, was nicht zu ihr paßte. Du weißt schon, plötzlich machte er ganz

Weitere Kostenlose Bücher