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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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hatte. Das von der Marie Claire -Kultur suggerierte und so gepriesene Bild davon, wie Frauen zusammen lustig sind — bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen sich Tess bei etwas Entsprechendem im wirklichen Leben wiederfand, einer Frauensause durch die Kneipen beispielsweise oder einer Pyjamaparty, fühlte sie sich immer fehl am Platz, auf einsamem Posten inmitten des Meers von Gequietsche und Gekicher und seufzenden Witzen darüber, wie Männer nun mal sind.
    Im Grunde scherte Tess ihr Mangel an Freundinnen nicht. Aber manchmal ärgerte es sie doch, vor allem wenn sie unter den Freundinnen ihrer Freunde Ablehnung spürte und merkte, wie sie in deren Köpfen außerdem noch sofort als eine jener Frauen eingestuft wurde, die nur auf die Anerkennung von Männern aus sind und andere Frauen als sexuelle Bedrohung empfinden. Bei solchen Gelegenheiten fragte sie sich dann manchmal, ob sie sich nicht stärker um Freundinnen hätte bemühen sollen; vielleicht lag sie mit ihrem Frauenbild ja doch falsch und war nur dem Girlie Show -Mythos aufgesessen, einem sehr mächtigen Mythos allerdings, der von den Frauen selbst, vor allem wenn sie in Gruppen auftraten, krampfhaft aufrechterhalten wurde. In Wirklichkeit gab es bestimmt viele, viele andere Frauen mit einem Humor wie dem ihren, aber sie lebten sozusagen in der Diaspora, über die ganze Frauenwelt verstreut, und dank der postfeministischen Propaganda wußten sie nichts voneinander. Manchmal hatte Tess das Gefühl, es sei ihre Pflicht, diese Diaspora aufzuspüren und zu vereinen.
    Eines dieser Male war, als sie Mitte September 1997 im Eurostar nach England zurückfuhr. Sie rief Vic von ihrem Handy an, um ihm zu sagen, wann sie ankäme; danach plauderten sie eine Weile über andere Dinge, wobei er nebenbei erwähnte, daß er Emma gesehen habe. In den meisten Fällen hätte eine solche von einem Ehemann kommende beiläufige Erwähnung einer anderen Frau bei der Ehefrau wahrscheinlich eine gewisse Beunruhigung hervorgerufen, aber Joe und Emma waren in der sozialen Mythologie eine so unzertrennliche Einheit, daß sich in Tess nicht einmal der Keim eines Verdachts regte. Nachdem sie ihr Handy ausgestellt und wieder in ihren Diplomatenkoffer gesteckt hatte, begann sie statt dessen darüber zu sinnieren, daß sie sich nie wirklich mit Emma angefreundet hatte, die sie auf einer Ebene wirklich mochte — sie war eindeutig ein guter Mensch und alles andere als humorlos, aber Tess wußte, daß man bei ihr über einen bestimmten Punkt nie hinausgehen konnte. Manchmal machte sie zum Beispiel eine Bemerkung, und Emma reagierte nicht mit Mißbilligung — dazu war sie zu unaggressiv —, sondern mit Verständnislosigkeit. Tess sah es förmlich vor sich, wie Emmas hübsche glatte Stirn sich runzelte und ihr Gesicht in höflicher Verständnislosigkeit erstarrte.
    Seit sie im Zug saß, hatte Tess immer wieder über den Resopaltisch zu ihren Mitreisenden hingeblickt. Einer von ihnen, erkennbar an dem stolz an seinem Revers prangenden Namensschild, war ein kleinerer Eurostar-Angestellter mit dem dazugehörigen roten Gesicht und blauen Anzug, der sich jedoch von allen anderen Rotgesichtern im Waggon durch seinen unverhohlenen Stolz auf den reibungslosen Ablauf der Reise abhob. Jedesmal wenn der Erfrischungswagen an ihrem Tisch vorbeifuhr, begann er zu strahlen, zu quellen, um das jiddische Wort zu benutzen, das für den Stolz und Überschwang jüdischer Mütter reserviert ist, wenn ihre Kinder es zu etwas bringen. An einem Punkt ließ sich der Eurostar-Mann fast vier Minuten Zeit für die Wahl eines Sandwichs (Eier und Kresse), überlegte laut vor sich hin und wälzte den Namen jeder anderen Geschmacksrichtung ratlos auf der Zunge hin und her, so als wollte er demonstrieren, wie unmöglich die Entscheidung angesichts eines solchen Smörrebrödangebots mit den köstlichsten Delikatessen der Christenheit sei. Tess mühte sich, seine groteskesten Eigenschaften im Gedächtnis zu speichern, damit sie Vic davon erzählen konnte, wenn sie heimkam.
    Direkt ihr gegenüber saß eine Frau Anfang dreißig, die nicht so leicht einzuordnen war. Kurzhaarig, mit einem intelligenten, kantigen Gesicht, allerdings mit einem leichten Anflug von Magersucht in den hohlen Wangen. Sie las den Observer, und hin und wieder schien sie belustigt die Braue zu heben über eine besonders schwülstige Eloge. Tess beobachtete sie eine Weile und war von Sekunde zu Sekunde mehr überzeugt davon, hier eine der vielen in der

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