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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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wir er, weder intellektuell noch sozial elitär, und es schien ihm recht lieb zu sein, Joe um sich zu haben. Warum, war Joe nicht ganz klar, aber er freute sich darüber. Vic versorgte ihn mit allen möglichen stellvertretenden Freuden.
    Das einzige, was Joe vage störte, war das Gefühl, daß Vic in letzter Zeit — jedenfalls mit Bestimmtheit in den vier Jahren, seit er die Universität verlassen hatte — nicht mehr die geringsten Skrupel bei seinen Meinungskundgebungen und Geständnissen erkennen ließ. Es hatte eine Zeit gegeben, als er ihnen immerhin ein Quentchen Schuldgefühle beimischte oder zumindest eine Spur Unsicherheit, ob es wirklich anging, solche Dinge zu sagen. Doch jetzt wirkte es so, als würde alles — jede Begierde, jede Lust, jede moralische Zweifelhaftigkeit — allein durch das Aussprechen abgesegnet: so, als wäre Offenheit an sich ein Läuterungsprozeß.
    »Und wie läuft’s mit der Band?« fragte Joe, der das Bedürfnis hatte, auf vertrautes Terrain zurückzukehren.
    »Beschissen. Virgin will keinen Vertrag für das zweite Album machen. Außerdem kann ich es sowieso nicht mehr lange aushalten, mit Jake zu spielen. Seine Stimme klingt inzwischen dermaßen von gestern für mich!«
    »Und? Was hast du vor?«
    »Weiß noch nicht. Aber ewig kann ich nicht so weitermachen. Ich spiele gern Gitarre, aber in der Musikbranche gibt es viel zu viele Arschlöcher. Außerdem komme ich langsam in das Alter, wo in einer Band spielen ein klein bißchen peinlich ist.«
    »Du bist doch erst sechsundzwanzig!«
    »Und das heißt, bald bin ich dreißig. Vielleicht wäre es anders, wenn wir groß rauskommen würden... aber das tun wir nicht.« Er sagte es mit leichter Resignation, aber ohne Groll. »Vielleicht sollte ich einfach mit Studioarbeiten anfangen. Fernsehspots und so ’n Zeug. Da kann man ein Vermögen machen.«
    Joe runzelte die Stirn; die Vorstellung, daß Vic mit seinem wunderbaren Talent bereit war, es so zu vergeuden, gefiel ihm nicht. Doch so war alles an Vic — vergeudet auf hohem Niveau.
    »Und was ist mit dir?« fragte Vic. »Wie läuft’s bei Wellcome?«
    Joe schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich werde den Job bei Friedner annehmen, weil man mich dort wahrscheinlich daran arbeiten läßt, ein Mittel zu finden.«
    Vic schniefte. »Warum machst du dich so verrückt wegen Aids?«
    »So verrückt mach ich mich gar nicht. Ich habe bloß ein paar Theorien, wie das Immunsystem funktioniert, die ich gern weiterverfolgen würde.«
    »Du weißt natürlich, daß es eine Schwulenseuche ist.«
    »Ach, geh doch zum Teufel!« Joe seufzte innerlich. Vic legte es heute offenbar darauf an, ihn auf die Palme zu bringen.
    »Stimmt doch. Ich will ja damit nicht sagen, daß es so was wie ein Gottesfluch ist oder so ein Quatsch. Ich meine nur, im Grunde können es bloß Schwule, Bisexuelle und Frauen, die mit Bisexuellen schlafen, kriegen. Ich weiß nicht, warum Leute wie du das nicht einfach zugeben.«
    Joe nickte sarkastisch. »Leute wie ich. Ja. Wir kontrollieren all die Informationen.«
    »Na, halt die Aids-Lobby. Schließlich ist es die reinste Propaganda, so zu tun, als seien alle gleichermaßen gefährdet. Also — korrigier mich, falls ich irre, Mr. Biochemie-König, aber man kann es nur durch den Austausch von Körperflüssigkeiten kriegen. Richtig?«
    »Und durch Injektionen.«
    »Schon gut, schon gut, vergessen wir das mal. Aber wie, bitte schön, sollen denn Körperflüssigkeiten in mich übertragen werden?«
    »Durch eine Vagina?«
    Vic schob die Unterlippe vor. »Ziemlich abwegig. Eine Vagina spritzt ihre Flüssigkeiten nicht durch die Gegend, so wie manches andere Organ, oder? Im Grunde mußt du einen Penis in dir haben, um es zu kriegen. Womit heterosexuelle Männer aus dem Spiel wären.«
    »Vic, glaub mir. Es ist wirklich komplizierter, als du es darstellst.«
    Vic zuckte die Achseln, zu faul zu widersprechen. Es lag ihm mehr daran, etwas zu behaupten, als es zu beweisen.
    »Außerdem werden in unserer Gesellschaft viel zu große Anstrengungen gemacht, Leute daran zu hindern, früh zu sterben. Dabei hat früh sterben irgendwie Glanz.«
    »Ich glaube nicht, daß du so daherreden würdest, wenn du manche der Dinge gesehen hättest, die ich gesehen habe.« Vic antwortete nicht — das tat er nie, wenn Joe wirklich ernst wurde. »Was soll daran glanzvoll sein?«
    »Die Sterbenden wissen Dinge, die uns verborgen sind.«
    »Redest du nicht eher von den Toten?«
    Vic schüttelte den Kopf. »Die

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