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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Herz in einem endlos wirbelnden Strudel umfing.
    Ihr Glück war immer am allergrößten bei der Ankunft im Hotel, das Joe jedesmal sorgfältig aus seiner Ideale Kurzferien- Broschüre ausgewählt hatte. Dann erschien es ihnen beiden so, als sei ein Wochenende endlos lang und sie hätten eine Ewigkeit Zeit — aus der Perspektive des Freitag gesehen, erstreckte sich die Landschaft gemeinsamer Freuden schier unermeßlich vor ihnen. Es war fast so, als würde ihr Glück in diesem Moment von der Aussicht auf die Freuden des nächsten noch übertroffen: wenn sie in ihr Zimmer gingen, sich zusammen aufs Bett legten und stumm das Wissen um die beiden vor ihnen liegenden Tage genossen — Tage, die der allerköstlichste Puffer waren zwischen ihrer Rückkehr nach London, zu ihrem Alltag und Getrenntsein.
    Diese erste Seligkeit hielt natürlich nicht an. Vor allem Joe merkte oft schon am Samstagnachmittag, daß er deprimiert wurde bei dem Gedanken an die Rückkehr — manchmal so deprimiert, daß er die gemeinsame Zeit, die sie noch hatten, nicht genießen konnte.
    An diesem Wochenende jedoch schien es, als halte irgend etwas die Zeit an — vielleicht war es die diesige Luft, die Suffolks Strände in ein diffuses Einheitsgrau tauchte. Anders als sonst immer merkte Joe jedenfalls nicht, wie die Zeit verstrich, sogar bis zum späten Sonntag nachmittag nicht. Sie fuhren mit dem Auto über die Landstraßen zurück zum Hotel und hörten sich Tapestry von Carole King an — als ironischen Gag hatten sie sich die Kassette auf der Herreise von London an einer Tankstelle gekauft, und jetzt hörten sie sich das Lied wie zwanghaft das ganze Wochenende an.

    Looking out into the morning rain
    I used tofeel so uninspired

    Joe beugte sich vor und schob den Lautstärkeregler hoch. Wenn ein Lied es ihm erst einmal angetan hatte, dann wollte er es immer so laut wie möglich hören, seine Seele davon überschwemmen lassen.
    »Ich wußte gar nicht, daß das Lied von ihr ist«, sagte Emma, und
    Joe erwachte aus seiner Musik-und-Straßen-Trance. »Bisher habe ich es immer nur von Aretha Franklin singen gehört.«
    Joe nickte. Auch er kannte nur diese Version, die wahrscheinlich die bessere war. Aber Joe hatte das Gefühl, daß irgend etwas an Carole Kings sehnsüchtiger weißer Stimme einen Nerv in seinem Innern traf. Emma begann mitzusingen; sie hatte eine gute Stimme, im Gegensatz zu Joe — bei allem, was sein Stimmorgan betraf, war er verklemmt: Singen, Schreien, Dialekte nachmachen — beim kleinsten Versuch würde er dunkelrot anlaufen.

    Your love is the key to my peace of mind...

    Die Zeile hatte Joe nie so richtig gefallen — »Deine Liebe ist der Schlüssel zu meinem Seelenfrieden« — , Arethas Version war ihm lieber, »Du bist der Schlüssel zu meinem Seelenfrieden«, denn er fand, daß es sich so besser skandieren ließ. Aber er ließ es durchgehen. Es war, als hätte Emmas Gesang die immer tiefer am Horizont versinkende Sonne hervorgelockt, denn plötzlich schickte sie ganze Strahlenbündel durch die allgegenwärtige Wolke.
    »Zum Teufel — was solls!« rief Joe und drückte auf einen Knopf am Armaturenbrett. »Wenn das keine Ermunterung ist!« Das Lederdach des Kabrioletts faltete sich wie eine Ziehharmonika nach hinten, und sie spürten den Wind und die Kälte auf ihren Gesichtern, aber es störte sie nicht. Das Lied steuerte auf seinen Refrain zu:

    ’Cos you make me feel,
    Yeah, you make me feel...

    Emma, deren Ponyfransen ihr in die Augen flatterten, sang jetzt laut und drehte ihr Gesicht zu Joe hin und lächelte ihn an. Er wußte, was jetzt gefordert war — von ihr, ihm selbst und der Kultur — , und wieder einmal merkte er, wie die Stricke seiner Schüchternheit, die ihn so oft fesselten, von Emma durchtrennt wurden. Er stimmte ein, so laut er konnte.

    Like a natural women...

    Als der Chorrefrain kam, dröhnte er ihn laut heraus, schrie ihn förmlich — und lachte gleichzeitig, halb über seine eigenen schrecklichen Töne und halb über das Groteske, daß der Vers aus einem röhrenden Männermund kam. Es war die reinste, köstlichste Selbstvergessenheit, als all diese Laute aus ihm hervorströmten. Ein Satz aus seiner Kindheit kam ihm in den Sinn: Mit einem Lied und Lachen auf den Lippen geht alles leichter. Zum Glück konnte er sich nicht auch noch erinnern, woher der Spruch stammte, trotzdem, daß was dran war, konnte niemand bestreiten.
    Sie sangen immer noch, als sie an drei Kindern vorbeifuhren, die ihnen auf

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