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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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der Landstraße entgegenkamen, eins schob ein Fahrrad; alle drei drehten die Köpfe und sahen Joes und Emmas kleinem an ihnen vorbeisausenden Musical nach wie einem besonders wunderlichen Festumzugswagen.
    »Wenn ich eins der Kinder gewesen wäre und uns gesehen hätte«, sagte Emma über Carole Kings Gesang hinweg, »dann hätte ich mir so gewünscht, erwachsen zu sein. Ich wäre so neidisch auf die Erwachsenen gewesen.«
    Joe sah sie an, in ihre Augen, die so ganz erfüllt vom Jetzt waren, von diesem Moment. Er hatte noch nie so eindeutig das Gefühl gehabt, daß er nirgendwo anders sein wollte.

    If I can makeyou happy then I don’t need to do more...

    Joe fuhr an den Straßenrand und fragte Emma, ob sie ihn heiraten wolle.

TESS

    T ess warf ihre Tasche aufs Sofa und ging schnurstracks zum Getränkeschrank.
    »Na ja, das überrascht mich nicht«, sagte Vic, nachdem er sie gefragt hatte, wie die Reise war. »Das ganze Land ist ein Irrenhaus.«
    »Ich hätte in Frankreich bleiben sollen«, schimpfte sie und goß sich ein großes Glas Jim Beam ein: Die Männlichkeit ihres Mundwerks erstreckte sich bis auf die Geschmacksknospen ihrer Zunge. »Oder irgendwo anders hinfahren.« Sie nahm einen großen Schluck, wie ein Cowboy aus seinem die Theke entlangschlitternden Glas. »Ich weiß allerdings nicht, wohin. Wo auf der ganzen Welt hätte man diesem Theater entgehen können?«
    Vic ging zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. Eigentlich hatte er ihr nur den Mantel abnehmen wollen, aber ihre Achseln hoben sich unter seinen Händen wie bei einem Pianisten, der zu einer besonders ergreifenden Passage ansetzt, und ihm wurde klar, daß sie eine Massage erwartete.
    Vic hob ihr Haar hoch. Tess hatte langes schwarzes Haar: Sie fand kurzes Haar nur bei jungen oder alten Frauen gut, aber nicht zwischendrin. Als sie seine Hand spürte, neigte sie den Nacken erwartungsvoll nach links. Mit dem Daumen seiner anderen Hand umkreiste Vic sanft ihren Halswirbel. Tess ließ die Schultern fallen und atmete tief durch, signalisierte ihm, wie sie sich entspannte. Vic war ein guter Masseur, seine Musikerfinger beherrschten eine ganze Skala von Druckanwendungen, und durch Berühren Lust zu verschaffen hatte etwas, das seinen amoralischen Impulsen entgegenkam. Seine Hände waren so elastisch, daß er die Fingerspitzen nach hinten biegen konnte wie eine balinesische Tänzerin.
    Er verstärkte den Druck jetzt, mit beiden Daumen strich er in Kreisbewegung um Tess’ Nackenwirbel. Er war froh, daß er sich am Nachmittag die Nägel geschnitten hatte und sie ihm jetzt nicht im Weg waren. Seine Nägel wie seine Haare wuchsen nicht nur extrem schnell, sondern auch extrem dick nach. Er konnte nie Klipper benutzen, nur Riesenscheren wie zum Bäumeschneiden. Wenn er tot war, stellte er sich manchmal vor, würde seine Leiche im Nu aussehen wie ein skelettiger Struwwelpeter.
    Seine Finger tasteten sich um Tess’ Hals herum, bis seine Zeigefingerspitzen sich an den Doppelhöckern ihres Schlüsselbeins trafen; seine Tourette-Stimme schrie ihm das Wort »erwürgen« zu.
    »Venus«, sagte Vic. »Du hättest dich auf die Venus absetzen müssen.«
    Tess’ Kopf sank nach vorn. »Aber da ist sie doch jetzt, oder nicht?«
    »Vielleicht.« Seine Hände wanderten ihren Hals hoch und strichen dann in leichten Kreisbewegungen über ihr Gesicht, wie bei einem Blinden, der die Züge eines anderen ertastet. An ihren Schläfen verstärkte er den Druck und stellte sich vor, wie ihre Haut sich um seine kreisenden Fingerspitzen kräuselte.
    »Hmmm«, sagte Tess. »Du klingst so...«
    Seine Finger stoppten. »Wie?«
    »Beinahe traurig.« Während seine Hände sich bis zu ihrem Haaransatz hocharbeiteten, legte er seine Stirn auf ihren Hinterkopf; sein Atem fuhr durch die feinen Haare in ihrem Nacken. »Sag jetzt bloß nicht, daß sogar du...«
    »Sei nicht albern«, murmelte Vic, schloß ihr mit den Fingern die Augen und fuhr dann ganz sanft den Wimpernrand entlang. »Ich hab mir noch nie was aus diesen Upperclass-Pferdegesichtern gemacht.«
    Tess schob ihr Gesicht ein Stück nach vorn. Offenbar fühlte sie sich genug massiert. Ihr Hinterkopf war vom Fenster eingerahmt, das auf das immer noch wehklagende London blickte. Vics Augen, fiel Tess ein, hatten rot und triefend ausgesehen. Sie drehte sich zu ihm um.
    »Oh — was macht dein Heuschnupfen?«
    »Schlimm«, antwortete er. »Wirklich grausig dieses Jahr.«
    »Wirken denn die Antihistamine nicht?«
    »Nein. Nun,

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