Was man so Liebe nennt
ausgeschieden. Vic dachte erst, während er sprach; manchmal, wenn er nicht schlafen konnte, sprach er laut im Bett vor sich hin, um das übervolle Innere seines Kopfs hinaus in die Dunkelheit zu stoßen. Vic sprach nicht im Schlaf, er sprach in seinem Nichtschlaf.
Aber trotz der überwältigenden Natur seiner Dränge und Impulse, war Untreue Vic nicht in den Sinn gekommen, seit er mit Tess zusammen war. In seinen Beziehungen davor hatte er ständig daran gedacht. Vic gehörte zu den Männern, die die Monogamielüge nie geschluckt hatten. Er glaubte, daß Begehren nur bei immer wieder Neuem entflammte; durch Enthüllung. »Das wirklich Aufregende am Sex«, hatte er an einem ihrer Spice-Abende Joe erklärt, der meistens in der Zuhörerrolle war, sobald das Gespräch auf dieses Thema kam, »ist das Gespanntsein, wie der andere nackt aussieht und sich anfühlt, und diese Spannung, fürchte ich, hält nur eine begrenzte Zeit an. Man müßte schon Don Powell sein, damit der Sex mit einer Person ewig aufregend bleibt.«
»Don Powell?«
»Der Schlagzeuger von Slade. Er hat eine seltene Form von Amnesie, und wenn er morgens aufwacht, hat er alles bis zu diesem Punkt vergessen.«
»Hm. Ich weiß nicht recht, ob bis in alle Ewigkeit spannender Sex es wert ist, jeden Tag den Schlagzeugpart von >Cum On Feel the Noize< neu zu lernen«, erwiderte Joe.
Vic fand, daß lange, dauerhafte Beziehungen gottlos waren. Denn ihm war aufgefallen, daß heutige Paarbeziehungen paradoxerweise das genaue Gegenteil ihres Archetyps Adam und Eva waren, denn die beiden hatten am Anfang kein Gefühl für ihre Nacktheit; erst später empfanden sie Scham: Wir dagegen spüren zuerst Scham — und damit zusammen Aufregung, Lust, Kitzel, Angst und all das, was zu gutem Sex gehört —, und später haben wir dann kein Gefühl für unsere Nacktheit mehr. Später sind wir übervertraut mit dem Körper des anderen und all seinen Funktionen. Vic hatte einmal überlegt, wie es wäre, wenn diese Unbefangenheit schon im allerersten Stadium einer Beziehung einsetzte. Und so rief er Emily an, eine ziemlich affektierte PR-Frau, mit der er sich zweimal getroffen hatte, und fragte sie, ob sie nicht Lust hätte, bei ihrer nächsten Verabredung zu ihm zu kommen und sich die Zähne zu putzen, während er auf dem Klo saß und seinen Haufen setzte. Während des folgenden hartnäckigen Besetztzeichens sagte Vic sich, daß er insgeheim wahrscheinlich sowieso vorgehabt hatte, die Sache zu beenden.
Alle Welt hat ihre Erklärungen für Männer, die von einer Frau zur andern wandern: Sie haben das Bedürfnis, Frauen zu erniedrigen, oder sie müssen sich selbst beweisen oder was immer. Aber Vic hatte keins dieser Bedürfnisse, ihm war schlicht und einfach und ohne jedes hintergründige Motiv dauernd nach — um einen Ausdruck zu benutzen, den, sagen wir, Eddie Murphy vielleicht wählen würde — neuer Muschi.
Vor Tess lebte Vic für neue Muschi. Und wenn einer für neue Muschi lebt, dann gelangt er natürlich irgendwann an den Punkt, wo er alte Muschi verletzt und erniedrigt. Aber auch wenn viele von Tess’ Freunden anzudeuten versuchten, daß Vics Vergangenheit von solchen Spuren der Verheerung durchzogen war, so war es nicht Vics Absicht. Der Schmerz, der alter Muschi zugefügt wurde, war, für Vics Empfinden, lediglich eine bedauerliche Begleiterscheinung der Suche nach einer neuen.
Das alles wurde nicht besser dadurch, daß neue Muschi für ihn mit erstaunlicher Geschwindigkeit zu alter wurde. Vic hatte das Gefühl, als lebten Muschis in Katzenjahren: Ein Monat in menschlichen Maßstäben war ein Jahr in Muschi-Zeitrechnung. Muschis hatten dieselbe Krankheit wie Robin Williams in Jack.
Vic wußte auch immer den genauen Punkt, an dem neu alt wurde; er merkte es — wie viele Männer — , wenn er masturbierte. Vic war ein leidenschaftlicher Masturbierer; manchmal wollte er aus dem alleinigen Grund mit einer Frau Sex, um sich für sein späteres Wichsen mit frischen Bildern zu versorgen. Auch dies hatte wiederum zu einigen wilden Spekulationen hinsichtlich seiner fragwürdigen Psyche geführt. Nach der ersten sexuellen Episode mit einer Frau wollte Vic, genau wie das übliche Macho-Schwein, daß sie sofort danach ging, oder, wenn die Episode woanders stattgefunden hatte, selbst sofort nach Hause gehen. Der Grund dafür war jedoch nicht, daß er sich von der Frau abgestoßen gefühlt hätte, sobald seine Geilheit gestillt war oder sonst so ein weiberfeindlicher
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