Was man so Liebe nennt
Tempranillo- und Garnachatrauben, und man läßt ihn etwas länger als üblich in Eichenfässern reifen, weshalb er recht würzig ist, wie ein Rhone Hermitage...«
Vic setzte das Glas an und trank einen Schluck. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden.«
»Es ist ein guter Tropfern, sagte sie, begegnete seinem Blick, in dem ein dunkles, flirtendes Lächeln lag, obwohl sein Gesicht ausdruckslos blieb.
»Ganz meiner Meinung!« schaltete James Foy sich ein. »Die Blume dieses Weins erinnert meinen Gaumen tatsächlich an Paul Jaboulet’s 1972er Aine Hermitage, einen fantastischen Bordeaux mit Portweincharakter — «
»Haben Sie auch Weiße?« fragte Vic. James Foy blinzelte und blinzelte, wie ein Alarmlicht am Armaturenbrett.
»Nein, Weiße habe ich nicht im Programm.«
»Warum nicht?«
»Ich mag sie nicht. Nun, den einen oder anderen schon, wenn er Körper und Reife hat und einen runden Geschmack — im Grunde, wenn er mehr oder weniger die Eigenschaften eines Roten hat.«
»Aha!« sagte James Foy. »Jetzt weiß ich, welchen Weißen Sie unbedingt probieren sollten, Tess. Ich habe Ihnen das auch schon früher gesagt — einen 1986er Gewürztraminer...«
»Haben Sie Lust, irgendwo anders hinzugehen?« fragte Vic. James Foy verschluckte sich und fing ziemlich heftig zu husten an.
»Wozu?« fragte Tess.
Vics schob die Unterlippe vor, als denke er nach. »Etwas trinken«, sagte er. Und dann zu James Foy: »Mir kam gerade in den Sinn, daß der Wein meiner Wahl wahrscheinlich der 1995er Hans Müller wäre.«
Tess lachte. »Also >Das ändert den Fall<.«
»Ach ja, wirklich?«
»Das ist ein Pub oben an der Straßenecke. Ich treff’ Sie dort, sobald ich hier alles zusammengepackt habe. In einer Viertelstunde?«
Bis zu dem Tag, an dem Prinzessin Diana starb, war Vic Tess treu gewesen. Das war keine geringe Leistung für Vic, denn für ihn war Sex nicht etwas, woran man alle fünfzehn Sekunden denkt, oder was immer die müde Statistik behauptet. Er dachte so gut wie überhaupt nie daran. Er spürte ihn, in jedem Moment, als kontinuierliche Körperempfindung, die ganz genau an einer spezifischen Stelle lokalisierbar war — den halben Weg die Schamleiste hinauf war der juckende, unkratzbare Stich, der sich wie ein winziges radioaktives Sandkorn dort festgesetzt hatte. Finger richteten gegen diese Art Jucken nichts aus — nur das Durchfluten eines Orgasmus konnten es stillen, und das auch nur für einen Moment. Lust überkam Vic nicht; sie war immer da.
Denn Vic war ein Evakuierter. Was natürlich nicht heißt, daß er als kleiner Junge in kariertem Wollpullunder und viel zu großen grauen Kniehosen während des Blitz mit der Dampflok nach Swansea geschickt worden wäre. Nein, er war ein Evakuierter in dem Sinne, daß er ständig ein Vakuum in sich schaffen mußte. In seinen Lenden konnte er, wie bei der chinesischen Folter, das ständige Tropftropftropf von Flüssigkeit hören, die in seine geäderten Hoden rann. Manchmal stellte er sich vor, eine enorme Pravaz-Spritze an der Unterseite seines Hodensacks zu befestigen, die ihn ständig absaugen und lustfrei machen würde.
Doch Sex war nur das krasseste Symptom von Vics Entleerungsdruck, den er in allen seinen Organen spürte und dem er auf der Stelle nachkommen mußte. So konnte er keinen Milliliter Flüssigkeit in seiner Blase ertragen, kein Molekül von Festem in seinen Därmen. Einmal hatte er auf der Medizinseite in der TV Times gelesen — seiner Erinnerung nach war es der Ratschlag von Katie Boyle, aber im Rückblick erschien ihm das eher unwahrscheinlich —, daß der Stuhlgang, um Hämorrhoiden zu vermeiden, nie erzwungen werden sollte; vielmehr sollte der Kot lange gebacken werden, bis er bereit war, sich ohne Zwang seinen Weg zu bahnen. Vic hatte es versucht, aber unmöglich gefunden. Er konnte sich nicht vorstellen, wie man durchs Leben gehen und dauernd überflüssiges Gepäck mit sich herumtragen konnte; oder genauer, wie man sich nicht daran stören sollte, wenn auch nur der geringste Drang vorhanden war.
Genauso mit Gedanken: Im Grunde verschwendete Vic nie Zeit mit Denken — zumindest nicht so, wie Rodins Denker denkt, archetypisch, allein, im stillen. Womit nicht gesagt sein soll, Vic wäre nicht auf seine Art geistreich gewesen. Es war nur so, daß Gedanken für ihn etwas waren, das man nicht im Kopf zurückhalten konnte — Gedanken waren dringliche Angelegenheiten, Dinge, die heraus mußten, laut ausgesprochen, kurz:
Weitere Kostenlose Bücher