Was man so Liebe nennt
Quatsch; er wollte einfach allein sein, damit er wichsen konnte — nicht um des Wichsens willen (obwohl das unleugbar eine Rolle spielte), sondern weil er die sexuellen Bilder der vergangenen Nacht so schnell wie möglich, so lange sie frisch waren, noch einmal vor sich ablaufen lassen wollte, denn so behielt er sie am besten im Kopf. Für Vic war das Sperma auf seiner Hand wie ein Guthaben auf der Bank.
Aber wie lange bleiben solche Erinnerungen frisch? Vic fand, mehr und mehr, daß sie so schnell abgestanden waren wie die Milch in seinem unregelmäßig anspringenden Kühlschrank: das heißt nach ungefähr drei Tagen. Also kehrte er oft zu derselben Frau zurück, um sein Gedächtnis aufzufrischen; aber dann setzte meist eine andere Form von Verfall ein: Gleich, wie frisch die sexuelle Erfahrung selbst war, die Erinnerung daran war nicht mehr aufregend. Für Vic gab es immer einen Punkt beim Masturbieren, an dem die Frau, mit der er gegenwärtig fickte, von der Bühne in seinem Kopf abtrat; er konnte sich noch so mühen, sie mit allen möglichen dei ex machinae zurückzuholen, aber gleich, welche Verrenkungen seine Phantasie ihren Körper vollführen ließ, er war kein Wichsfutter mehr; und das , um die Sache abzuschließen, war der Punkt an dem, für Vic Mullan, neue Muschi alte Muschi wurde.
Womit nicht gesagt werden soll, daß Vics Gefühle nicht im Spiel gewesen wären bei all den Frauen, mit denen er schlief. Für seine Begriffe waren sie es; einmal behauptete er sogar, er sei wahnsinnig verliebt — in Janis, ein modernes Hippiemädchen aus Brighton.
»Wenn du so in Janis verliebt bist«, sagte Joe zwischen zwei Bissen von Chana Dosa an einem anderen Abend im Spice, »wie kommt’s dann, daß du Emily vögelst?«
»Und Sacha.«
»Du vögelst Sacha !?«
»Ich bin in Janis verliebt«, sagte Vic unbeirrt. »Es ist bloß so, daß es zweieinhalb Milliarden anderer Frauen auf der Welt gibt, die ich unbedingt nackt sehen muß.«
Und damit wäre er schon zufrieden, dachte er manchmal. Wenn sie einfach zu ihm ins Zimmer kämen, eine nach der anderen, ihre Kleider auszögen, sich ihm (von vorn und von hinten) zeigten und wieder gingen. Das würde ihm reichen — das und die Gabe eines fotografischen Gedächtnisses.
Aber Tess blieb er treu. Vielleicht weil Sex mit ihr so viel länger neu und frisch blieb als bei allen anderen Frauen vorher. (In Vics Kopf fiel Tess in die Kategorie recycelbare Muschi.) Da sie selbst etwas von einem Mann hatte, war auch sie sexuell schnell gelangweilt und wild darauf, daß Sex aufregend und neu blieb. Doch der weit wichtigere Grund war wohl, daß Vic vorher niemals mit einer Freundin wirklich befreundet gewesen war. Er hatte immer auf gutem Fuß gestanden mit seinen Frauen, sie gern um sich gehabt, war freundlich zu ihnen gewesen, aber nicht wirklich befreundet.
Dieser Unterschied war ihm zuerst eines Abends aufgefallen, als er mit Tess zusammen Gaby Roslin im Fernsehen sah. Irgendwas an Gaby Roslin hatte Vic immer gestört. Aber er konnte nie sagen, was genau es war: Sie sah ohne Zweifel gut aus, war ein Frauentyp, der ihm normalerweise gefiel. Aber jedesmal, wenn sie auf dem Bildschirm erschien, stieß ihn irgend etwas an ihr ab, und das wollte er gerade aussprechen, als Tess sagte: »Findest du es nicht auch gräßlich, wenn Frauen zu Hosen Stöckelschuhe tragen?«, an welchem Punkt Vic so etwas wie eine Offenbarung hatte: genauer, vier Offenbarungen — erstens, daß Gaby Roslin immer zu Hosen Stöckelschuhe trug, zweitens, daß es das war, was er nicht an ihr mochte, drittens, daß er grundsätzlich keine Frauen mochte, die Hosen, insbesondere Hosenanzüge mit hochhackigen Schuhen trugen, und viertens, daß Tess die einzige Frau war, mit der er je zusammengewesen war, die so etwas so direkt und brutal gesagt hätte — und so im Einklang mit seinen eigenen Empfindungen.
Also blieb Vic Tess treu. Nicht, weil er einer Freundin nicht übel mitspielen wollte. Da hinderten ihn keine Skrupel. Der Grund war ein anderer: die Entdeckung, daß mit einer Freundin Freund zu sein, ein großartiger Weg war, die Frustrationen der Monogamie abzuwenden; die Geilheit auf Neues fand ein Ventil, weil man darüber reden konnte: Man durfte es sagen, wenn einem jemand anderer gefiel, und Vic und Tess erzählten es sich dauernd.
Die einzige Person, von der Vic Tess nie erzählte, daß sie ihm gefiel — sehr gefiel — , war Emma.
SONIA UND MICHELLE
S onia und Michelle waren Anwältinnen.
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