Was man so Liebe nennt
Nachdem sie sich in der Kanzlei von Foster, Lewis & Benbury in Clerkenwell kennengelernt hatten, beschlossen sie, ein eigenes Büro zu gründen. Dies ist keine wichtige Information für diese Geschichte, aber die Gemeinschaftspraxen von Steuerberatern und Anwälten haben etwas Komisches an sich, was wohl an der protzigen Aneinanderreihung schierer Nachnamen liegt; da die Vornamen verschwiegen werden, hat man das Gefühl, man müßte wissen, wer diese Leute sind. Vor Foster, Lewis & Benbury hatte Sonia bei Klein, Garr, Wegg & Head gearbeitet (die unbedingt noch einen Partner mit mehrsilbigem Nachnamen brauchten), während Michelle ihre Referendarzeit bei Freedman Prosser Cohen in St. Johns Wood absolvierte. Sonia war eine Pseudoaristokratin aus Edinburgh mit einem Gehabe überlegener Intelligenz, die sich aber in dem, was sie sagte, nicht bemerkbar machte, und einem Lover, der Rugby spielte; Michelle war Lesbierin, mit dem Aussehen — und ungefähr der gleichen brutalen Humorlosigkeit — von Lara Croft.
»Ich weiß wirklich nicht, warum wir da hingehen«, sagte Tess auf dem Weg zu der Party, der Einweihungsfeier von Sonias und Michelles Geschäftsabenteuer, die in Michelles Apartment in Camberwell stattfand. Tess saß neben Vic hinten in Emmas Renault Clio; Joe fuhr, Emma war neben ihm. Wegen des Kinderstuhls auf dem Rücksitz saßen Tess und Vic ziemlich eingeklemmt. Eigentlich hatten sie Joes Wagen nehmen wollen, einen alten Volvo, aber Vic hatte sich fürchterlich angestellt, er wollte auf keiner Party auftauchen und aussehen, als würde er von seinem Daddy hingefahren. Es war das erste Mal seit Dianas Tod, daß alle vier zusammen waren.
»Vor allem Sonia, die ist doch eine schrecklich dumme Schnalle.«
»Inwiefern ist sie eine dumme Schnalle?« fragte Joe. Er hatte oft das Gefühl, er müsse die Leute verteidigen, die Tess angriff, weniger weil ihm selbst sonderlich viel an ihnen gelegen war, sondern weil Tess’ Schärfe ihm zu schaffen machte.
»Allein ihre Stimme! Ihr aufgeblasenes schottisches Gesäusel. >Heallooo, alle! Klinge ich nicht genau wie Kirsty Young?<« Alle lachten, weil Tess Sonias Ton genau getroffen hatte. Sogar Joe lachte. »Sie spricht, als wär ihr ein gekochtes Ei im Mund steckengeblieben.«
»Stimmt, so redet sie wirklich«, sagte Emma.
»Tess haßt Parvenüs, nicht wahr, Darling?« sagte Vic mit ironischer Betonung auf dem letzten Wort.
»Haßt was?« fragte Emma.
» Nouveaux riches-S imulanten. Soziale Aufsteiger. Weil sie wirklich nobel ist. Sie behält es für sich, aber sie hat ein bißchen blaues Blut.«
»Das stimmt. Ich halte es unter meiner Gertrude Schilling-Monstrosität, die ich jedesmal in Ascot ausführe.«
»Hast du wirklich blaues Blut?« fragte Joe.
»Natürlich habe ich verdammt noch mal keins.«
»Doch, hast du«, sagte Vic und setzte noch eins drauf. »Was ist dein zweiter Vorname?«
»Das sage ich nicht.«
»Ach komm, Tess, wie heißt du noch?« fragte Emma und schaute wie ein kleines Mädchen zu ihr nach hinten.
»Sharon.«
»Das stimmt nicht«, sagte Vic lachend. »Sag es ihnen schon.«
Tess sah ihn mit leicht bohrendem Blick an, zuckte dann die Schultern und verdrehte die Augen. »Octavia«, sagte sie genervt und schaute aus dem Fenster.
Joe prustete los. Emma schlug mit der Hand nach ihm. »Ich finde, das ist ein schöner Name«, sagte sie ganz ernst.
»Aber zweifellos nobel«, sagte Vic.
»Aber es ist der Name von meiner Oma, okay?«
»Dann war sie eben nobel. Was bedeutet, du auch.«
Tess rettete sich, halb amüsiert, halb gelangweilt, in ein vertrautes Muster. »Okay, ich geh’s auf. Du hast recht. Ich kann meinen Stammbaum bis zu Ethelred, dem Ungewöhnlich Fetten, zurückverfolgen. Meinem Vater gehört das Herzogtum von Hentlon. Meine Urgroßmutter mütterlicherseits war die Mätresse des Earl von Humbug. Und die Flüssigkeit, die in der Tamponwerbung verwendet wird...«
»Das blaue Zeugs?«
»...stammt aus den persönlichen Blutkonserven meiner Familie.« Alle konnten nicht mehr vor Lachen. »Aber trotzdem höre ich mich nicht so an, als hätte ich ein verdammtes Ei im Mund!«
»Und nur wegen diesem Sprachtick von ihr — der wahrscheinlich nicht mal ihre Schuld ist...«
»Jaah, Joe, wahrscheinlich hast du recht. Es ist ein Sprachfehler und überhaupt nichts Affektiertes.«
»...nur deswegen ist sie für dich eine dumme Schnalle?«
»Nein«, sagte Tess. »Außerdem wegen allem andern an ihr.«
Emma lachte, etwas zu heftig für
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