Was man so Liebe nennt
Vics Geschmack.
Auf der Party präsentierten alle ihre Verschwörungstheorie.
»Der Geheimdienst. Der steckt dahinter. Eindeutig«, rief Neil, ein affenartiger Verkaufskanal-König mit auf die Stirnlocken hochgeschobener Sonnenbrille, und übertönte »Never Ever« von All Saints.
»Was meinst du mit eindeutig? Was weißt du darüber?« konterte seine Freundin Kate; ihr Ton war verächtlich, aber ob das Neils Meinung galt oder Neil insgesamt, war unklar.
»Na, also. Eine Frau wie sie, die stirbt doch nicht einfach so.«
»Oh! Sie war wohl unverwundbar?«
»Wie Asterix und Obelix«, sagte Douglas, ein junger City-Banker, der gern so tat, als wäre er es nicht, indem er kulturelle Anspielungen machte, die seiner Meinung nach niemand erwartete.
»Aber die mußten erst ihren Zaubertrank schlucken«, sagte Emma.
»Was?«
»Sie waren nur unverwundbar, wenn sie von dem Zaubertrank in ihren Kürbisflaschen getrunken hatten.«
»Die königliche Familie hat eine Menge Freunde im Geheimdienst«, ackerte Neil zwischen Schlucken an seinem Budweiser weiter. »Und die königliche Familie war hoch alarmiert, weil sie sich mit einem Araber eingelassen hatte.«
»Nicht gerade irgendeinem Araber«, warf Douglas ein, der sich langsam wieder von seinem Schmollen wegen Emmas Asterix-und-Obelix-Belehrung erholte, »sondern dem Sohn eines sehr reichen und mächtigen Arabers.«
»Ach, redet doch keinen Schwachsinn«, schaltete Joe sich schließlich ein. Er war schon vor der Party müde gewesen, und das endlose Gefasel und die aus der Luft gegriffenen Spekulationen ermüdeten ihn noch mehr. »Es war ein Unfall. Niemand steckte dahinter.« Alle Augen hefteten sich auf ihn, aber er nahm nur Emmas wahr, das Mißtrauen darin, das Zurückweichen — wie immer dieser Tage, wenn das Thema aufkam. »Es ist immer dasselbe, wenn irgendwer Berühmtes stirbt, müssen die Leute immer gleich eine Verschwörung dahinter vermuten. Weil es beruhigender und tröstlicher ist, irgendeiner Regierung oder einem Verbrechersyndikat oder was immer die Schuld zu geben, als der Tatsache ins Auge zu sehen, daß der Tod eben willkürlich ist.« Er verstummte, wollte das Thema beenden, denn er stand nicht gern im Rampenlicht; er merkte, daß er die ganze Zeit an seinem Ohrläppchen herumfingerte. »Es beruhigt die Leute nicht nur, gleichzeitig haben sie das Gefühl, daß sie unheimlich subversiv sind.«
»Seht mal. Es ist doch ganz einfach«, sagte Michelle. »Wie Hannibal Lecter im Schweigen der Lämmer sagt. Man muß zu den Urgründen zurückkehren.«
»>Bei jeder einzelnen Sache fragen, was sie an sich selbst ist<«, zitierte Tess. »>Was tut er, dieser Mann, den du willst.<«
»Jaah—«
»Er zitiert Marc Aurel.«
»Genau, Tess. Und wenn wir dieses Prinzip nun auf den vorliegenden Fall anwenden, dann lautet die Frage: Was mußt du tun, um mit 200 Sachen ohne Sicherheitsgurt durch einen Pariser Tunnel zu rasen und dich nicht darum zu scheren — nicht zu schreien >Halt! Fahr langsamer um Gottes willen!«<
Die Gruppe, die sich um den magnolienfarbenen Kamin drängte, sah Michelle verdutzt an. An Michelles Schulter lehnte Nichole und tauchte eine Selleriestange in die Mayonnaisenschale auf dem Kaminsims, Nichole, die sich erst letzte Woche geoutet hatte, zum Entsetzen ihres Freunds Daniel, der es vorgezogen hatte, heute abend nicht zu erscheinen.
»Koks mußt du genommen haben«, sagte Michelle forsch. »Das und nichts anderes.« Es entstand eine Pause, während der die anderen Michelles Theorie in sich einsickern ließen. »Denn welche andere Droge hätte solch eine Wirkung?«
»Speed?« schlug Vic vor.
»Quatsch! Als ob ein Mitglied der Königsfamilie Speed nehmen würde. Dann hat sie deiner Meinung nach wohl auch Klebstoff geschnüffelt?«
»Ich glaube nicht, daß das deine Frage war...«
» Er war schließlich ein berüchtigter Kokser«, sprang Nichole in die Bresche.
»Genau. Und du willst mir doch nicht erzählen, daß sie nie mit dem Zeug in Berührung kam.«
»Wer hätte es ihr denn anbieten sollen?« sagte Emma.
Joe blickte zu Emma hin, deren Augen auf den Boden geheftet waren. Während des ganzen Geredes hatte er sich wie ein Seismograph ihrer Stimmungen gefühlt, der anfänglich munteren, in der sie das laxe Gerede der anderen über ihr Heiligstes gelassen hinnahm, aber jetzt, er spürte es genau, waren sie zu weit gegangen. Er sah, wie ihre Hand an ihren Schopf wanderte und an einem Haarbüschel zog; mittlerweile hatte sie ihre
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