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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Schlafzimmer aufhängte, auf dem stand: Der Hund ist tot. Unglücklicherweise half das Sylvias Gedächtnis nur morgens beim Aufstehen auf die Sprünge, und nachmittags lief sie dann wieder durch die Straßen und schrie über ganz Woolwich hinweg »Boris!« Ein Trost dabei war immerhin, daß sie seinen Namen fest im Gedächtnis hatte und ihn nicht mit dem Hund aus ihrer Kindheit verwechselte, einem dunkelbraunen Retriever, der Nigger hieß.
    Es war eine schwere Entscheidung gewesen, aber Joe hatte Emma davon überzeugt, daß ihnen, sowohl in Sylvias wie in ihrem eigenen Interesse, nichts anderes übrigblieb. Emma konnte sich nicht gleichzeitig um ihre Mutter und ihr Baby kümmern, so sehr sie sich auch für ihre Familie zerriß.
    »So... und jetzt nur noch ein paar kleine Fragen, Mrs. O’Connell«, sagte Ms. Andrews, eine blasse Frau mit einer Anzahl unglücklich plazierter Muttermale im Gesicht, insbesondere das zwischen Nase und Oberlippe. »Ob Sie mir wohl sagen können... wer Premierminister ist?«
    Sylvia runzelte die Stirn, beugte sich auf ihrem Plastikstuhl nach vorn und legte die Hände auf die Knie.
    »O ja, ich weiß, ich weiß. Gleich fällt’s mir ein. Sagen Sie’s mir nicht...«
    Niemand sagte es ihr. Ein langes Schweigen folgte.
    »Also... gut«, sagte Mr. Panjiit und hob seine Stimme bei dem »gut«, wie um zu sagen, macht nichts. »Und wie wär’s mit... warten Sie. Ja. Ein Mitglied der königlichen Familie, das kürzlich bei einem Autounfall ums Leben kam. Wissen Sie, wer das war?«
    Wieder runzelte Sylvia die Stirn. Dann kratzte sie sich am Kopf.
    »König Edward?«
    »Nein...«
    Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Natürlich nicht! Er lebt ja noch, nicht wahr? Er hat bloß abgedankt .« Sie lachte. »Ich weiß gar nicht, was heute mit mir los ist.«
    Mr. Panjiit lächelte, herablassend natürlich, aber es kommt ein Punkt, wo Herablassung nicht mehr der freien Entscheidung unterliegt und daher ohne Tadel ist. Seine Stimme schaltete einen Gang runter. »Also dann, Mrs. O’Connell. Welches Jahr haben wir?«
    »Oh, ja. Das weiß ich jetzt. 19... soundsoviel, nicht wahr?«
    »Ja...«
    Joe betrachtete Sylvias sich konzentrierendes Profil. Es war immer noch schön, dachte er. Dank Alzheimer, die nun mal eine zweite Unschuld erschuf, konnte Sylvia manchmal sehr jung aussehen. Hinter seiner dicken schwarzen Brille sah Mr. Panjiit sie weiter ermutigend an.
    »Nein. Es ist mir entfallen.«
    Mr. Panjiit nickte verständig. »1997, Mrs. O’Connell«, half er ihr aus.
    »Ja, natürlich!«
    »Wie ich sehe, lebt einer Ihrer Brüder noch?« sagte Ms. Andrews.
    »Jerry. O ja. Unverwüstlich wie ein Paar alte Gummistiefel!«
    Joe beugte sich über den Schreibtisch, die Interviewer streckten ihre Köpfe zu ihm vor. »Starb 1983. Der, der noch lebt, heißt Denis...«, flüsterte Joe. Ms. Andrews räusperte sich und wandte sich wieder an Sylvia.
    »Gut, gut. Ähhm... warten Sie...« Sie sah in ihrer Akte nach. »Ihr Hund. Wie geht’s ihm?«
    »Ach, das weiß ich nicht. Boris! Boris !«
    »Gut, danke. Ich glaube, das reicht.«
    Mr. Panjiit kritzelte ein paar Notizen auf seinen Block und verbreitete eine Das-war’s-Aura im Raum.
    »Und...«, sagte Emma, die auf den Boden guckte, »Was für eine Art... Heim empfehlen Sie für meine Mum?«
    Mr. Panjiit blickte von seinem Block hoch und schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. »Nun, je nachdem. Wir müssen unseren Bericht einsenden, damit eine Einstufung vorgenommen werden kann. In etwa zehn Tagen...«, er blätterte in dem Tischkalender vor ihm, »...ja, so um den 4. oder 5. Dezember sollten wir in der Lage sein, eine geeignete Unterbringung vorzuschlagen.«
    »Vielleicht sollte sie ein Wort dabei mitreden«, sagte Emma und sah ihn trotzig an.
    Mr. Panjiit zögerte. »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine — warum sollte meine Mutter nicht sagen, in welcher Art Heim sie...«, und hier versagte ihr die Stimme, »...die nächsten paar Jahre verbringen möchte.«
    Mr. Panjiit und Ms. Andrews warfen sich einen Blick zu.
    »Ja, warum eigentlich nicht«, sagte Ms. Andrews schließlich. »Sie haben völlig recht.« Dann rückte sie ihr Gesicht und ihren Ton zurecht. »Mrs. O’Connell«.
    Sylvias Augen kehrten zurück aus dem Nirgendwo, in dem sie gerade geweilt hatten. Sie lächelte höflich.
    »Haben Sie irgendwelche besonderen Wünsche an das Heim, in dem wir Sie unterbringen sollen?«
    Sylvia legte sich den Finger auf den Mund.
    »Ich meine...«, fuhr Ms. Andrews fort,

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