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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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aus dem Wasserglas trank, das immer neben seinem Bett stand — drei Viertel stilles, ein Viertel sprudelndes; Joe mußte aus allem eine Gewohnheit machen. Mit einem aggressiven Ruck zog er wieder die Decke über sich, sein Gesicht tief ins Kissen gedrückt, sein ganzer Körper ein widerspenstiger Fötus. Sie wollte schon die Hand ausstrecken und ihm mitfühlend und tröstend über den Rücken streicheln, aber dann drehte auch sie sich um, wütend, weil er ihr Schuldgefühle machte. Schließlich stimmte es: Sie hatte Kopfschmerzen.

TONI

    T oni verstand nicht , was heute in Jackson gefahren war. Normalerweise freute sie sich auf ihre Dienstage in der Winsley Road. Das Haus war schön, auch wenn die Farben überall ein bißchen zu knallig waren für ihren Geschmack. Jedenfalls war es völlig anders hier als bei all ihren Stellen in Camberwell und Brixton, wo sie an den anderen Wochentagen Kinder hütete. Außerdem war sie sich sicher, daß Molly, das Mädchen der Wendells, auf irgendeine Art mißhandelt wurde, denn in den letzten drei Monaten war aus der wonnigen munteren Dreijährigen mit einer Vorliebe für Unsinnsingsang ein in sich gekehrtes, ängstliches Bündel von Laß-mich-in-Frieden geworden. Toni wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte — wenn sie zum Jugendamt ging und sich herausstellte, daß sie irrte, würde sie bestimmt auf der Stelle gefeuert, und wenn sich die Nachricht verbreitete, wahrscheinlich auch von all ihren anderen Jobs. Wenn Toni darüber nachdachte, dann wünschte sie, sie wäre wieder daheim in Swansea, wo jemand sich um sie kümmern würde.
    Aber die Dienstage waren normalerweise anders. Sie kamen Tonis Idealvorstellung vom Kindermädchenjob am nächsten, jedenfalls dem, was sie sich darunter vorgestellt hatte, ehe sie nach London kam. In der Winsley Road war es einfach nett (ein sehr unterschätztes Wort, wie Toni immer fand): nettes Haus, nette Eltern, nettes Essen im Kühlschrank (bei dem Toni sich immer mit Not zurückhielt — sie wollte nicht unverschämt wirken; außerdem war schon März, und sie hatte immer noch nicht die fünf Kilo abgespeckt, was sie sich schon vor Weihnachten vorgenommen hatte) und ein nettes, wirklich nettes Kind. Als Toni Jackson das erste Mal sah, dachte sie: »Genau so ein Baby hätte ich gern.« Jackson war so hübsch, abgesehen von dem Muttermal natürlich, und so klug — jedenfalls guckte er so. Und normalerweise war es ein Traum, sich um ihn zu kümmern — die meiste Zeit schlief er, und wenn er aufwachte, ließ er sich glücklich glucksend füttern. Natürlich hatte er ab und zu mal kurz geweint oder gegreint, aber geschrien hatte er bis heute praktisch nie, und ganz bestimmt nicht das ununterbrochene Geheul ausgestoßen wie im Augenblick.
    »Jackson, Jackson«, murmelte sie und klopfte ihn zum hundertsten Mal auf den Rücken, während sie ihre Runden durchs Wohnzimmer drehte wie ein Tier in einem zu kleinen Käfig. Nach einer Weile hielt sie ihn auf Armeslänge von sich und empfand, nicht zum ersten Mal an diesem Tag, einen Anflug von Mitgefühl für Louise Woodward. Toni war, als käme das Geschrei nicht mehr nur aus dem bläulich verfärbten kreisrunden Babymund, sondern aus jeder Pore seines lila angelaufenen, verquollenen Gesichts, das vor lauter Anstrengung eine verzerrte Maske war; sein ganzes Gesicht hatte sich tatsächlich so lila verfärbt, daß sein Muttermal nicht mehr sichtbar war, nahtlos in die Haut darum herum überging. »Du bist frisch gewickelt, du bist gefüttert — was hast du denn nur?«
    Toni ging ins Schlafzimmer hinüber und legte Jackson in sein Kinderbettchen. Sie empfand die verzweifelte Hilflosigkeit aller Kindermädchen in solch einer Situation, die dann aus schierer Ratlosigkeit das Baby ständig hochnehmen und wieder hinlegen. Sie warf einen Blick auf ihre Sportuhr, ein Geschenk von Val, ihrem Freund. Toni gefiel sie eigentlich nicht; obwohl sie rosa war, sah sie mit all ihren Knöpfen und Zeigern aus wie eine Jungenuhr. Aber Toni wußte, es war Teil von Vals Versuch, sie auf Trend zu bringen, und sie hatte das Gefühl, sie sollte sich nicht dagegen wehren. Mrs. Serena — die unbedingt wollte, daß Toni sie Emma nannte, obwohl Toni sowieso schon verwirrt war, was ihren Namen betraf, nachdem sie einmal gehört hatte, wie sie sich am Telefon mit Emma O’Connell meldete — war jetzt schon anderthalb Stunden zu spät. Wenn sie nicht bald kam, mußte Toni Val anrufen und ihre Verabredung in diesem Club in

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