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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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sein Körper mühelos ihren umfloß wie das Meer eine Sandburg.
    »Du bist so lieb«, murmelte sie schläfrig, und eine Sekunde glaubte Vic ihr, war überzeugt, daß er sich aus schierer Güte so angestrengt hatte, allein weil sie ihn mit ihrer Güte dazu angespornt hatte. Er glaubte es auch noch, als er einschlief, auch wenn seine Überzeugung leicht ins Wanken kam, als sein hypermusikalisches Ohr ein winziges Scheppern — einen Hauch von blechernem Klang — aus dem Geräusch der Wellen heraushörte.

TEIL ZWEI
    Winter - Frühling 1998

    Der Leiche, die in einem heranwächst, bleibt man unvermeidlich treu.

    Adam Phillips, Monogamie

JOE

    J oe streckte sich über die ganze Breite des Betts und berührte sie an der Schulter, oder genauer, er hielt ihre ganze Achsel mit seiner rechten Hand umfaßt. Nun ist jemanden an die Schulter fassen eine jener vielen Gesten, die durch die leichteste Variation eine völlig andere Bedeutung gewinnen kann. Was in der einen Form ein beiläufiges Schultertippen ist, kann in der anderen wie ein stummes Flehen sein, ein erster Schritt, ein hoffnungsvolles Vortasten.
    In der Ehelitanei gibt es tausend verschiedene Wege, wie die Initiative zum Sex verlaufen kann. Die Riten sind andere als vor der Ehe oder zumindest in den frühen Stadien der Beziehung. Das Muster kehrt immer zurück zum ersten Mal, verkommt aber oft zur bloßen Imitation davon, zu einer Art postironischer Wiederholung. Bei manchen Paaren gilt allein die Tatsache des Verheiratetseins oder die Dauer ihres Zusammenseins als Freibrief, und der Prozeß sexuellen Werbens wird allen Brimboriums entkleidet und entmystifiziert — was einst eine Serie von Codes und Umwegen und körpersprachlichen Andeutungen war, wird zum »Gehen wir ins Bett? oder gar »Ist dir nach Sex?«. Für jene anderen jedoch, bei denen die Ehe oder langwährende Beziehung einen anderen Weg einschlägt, den Weg von Komplikationen, wird die Einleitung zum Sex schwieriger und vertrackter als für nervöse Erstlinge. Insbesondere wenn der Sex in einer Sackgasse steckt, dann befindet man sich in jenem Teufelskreis von Unsicherheit und Zweifeln, wo jeder Fick zählt, entweder für sich selbst genommen oder als historischer Moment — und dann merkt man plötzlich, daß nichts Freies oder Leichtes mehr dabei ist und auch kein Weg dahin zurückführt: Spontaneität kann nicht erzwungen werden.
    Genau dort, an diesem schlimmen Ort, in dieser Ödnis, befanden sich Emma und Joe. Joe hielt ihre Schulter eine kleine Weile umfaßt und wartete auf den Moment, wo seine Hand sanft weggeschoben würde — wie bei einem lästigen Kind; jedenfalls fassen Männer das immer so auf, obwohl von Frauen nie beabsichtigt. Da Emma jedoch keine Anstalten dazu machte, regte sich ein kleiner Hoffnungsschimmer in Joe, und er ließ seine Hand hin und her wandern — allerdings keinen Deut weiter nach unten, denn er mußte sich gegen völlige Erniedrigung schützen, indem er sich die klägliche Möglichkeit offenhielt, daß Sex nicht seine Absicht war. Emma rührte sich nicht, ließ ihn gewähren, aber als Joe ihr dann, zaghaft und unsicher, über den Brustansatz streichelte, sagte sie in die Dunkelheit: »Heute abend nicht, Liebling. Ich habe Kopfschmerzen.«
    In ihren stürmischen, leidenschaftlichen Tagen war das eine stehende Redensart zwischen ihnen gewesen, ein kleines, ironisches Zitat, ein Kontrapunkt zu dem vielen Sex, den sie hatten: ein Satz, der jedoch nur bei den sehr seltenen Gelegenheiten bemüht wurde, wenn sie sich so verausgabt hatten und/oder erschöpft waren, daß ihrer beider Körper sich gegen, sagen wir, einen zehnten Anlauf in zwei Tagen sperrte. Joe und Emma waren ein Paar, das sich eine umfangreiche Privatsprache zugelegt hatte, ein ganzes Lexikon von Kosenamen und kleinen kindischen Worten für die Ausstattung ihres persönlichen Universums; auch jetzt hatten noch Ecken und Enden dieser Sprache in ihrem Eheszenarium überlebt, wie die Ruinen in einer bombardierten Stadt.
    »Das ist nicht komisch!« Die Verletztheit in seiner Stimme war so deutlich, daß Emma selbst im Dunkeln das Bild seines grimmigen Gesichts vor sich sah. Er drehte sich um, zerrte die Bettdecke mit sich weg, schaffte ein Grenzgebiet in dem gemeinsamen Bett, das mit Groll elektrisch aufgeladen war. Emma lauschte auf seinen Atem, jedes Heben und Senken seiner Brust eine Anklage, so mit stummem Vorwurf beladen, daß die Luft ganz schwer davon wurde. Emma hörte, wie er die Hand ausstreckte und

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