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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Clerkenwell absagen — wie hieß er noch? Zion, ja, genau.
    Tonis Selbstmitleid schwappte jetzt über in Zorn: Dies war das vierte Mal in den letzten beiden Monaten, daß Mrs. Serena sich verspätete; überhaupt hatte sie sich seit Neujahr sehr verändert. Der Ärger staute sich in Toni auf. »Verdammte Scheiße, wo bleibt sie nur?« schimpfte sie laut und errötete dann leicht, da es eigentlich nicht ihre Art war, vor den Kindern, um die sie sich kümmerte, zu fluchen, selbst bei so kleinen wie Jackson nicht (besonders bei so kleinen nicht — Toni vergaß nie die Geschichte, wie das erste Wort des jüngsten Kindes der Lanes, einer noblen Familie aus Swansea, das kurz von der flapsigen Susan Crane betreut wurde, »Fotze« gewesen war). Aber wahrscheinlich hatte Jackson sie bei seinem Geschrei sowieso nicht gehört.

    Im Wohnzimmer der Serenas setzte Toni sich aufs Sofa und griff zum Telefon. Es war ein altes, schwarzes, das Emma und Joe auf dem Greenwich Market gekauft und technisch auf modern umgerüstet hatten. Toni fragte sich, woraus es wohl war — der Hörer fühlte sich wie Elfenbein an, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie das sich anfühlte — und was die Buchstaben bedeuteten, die jede Zahl wie ein kleines Triptychon umgaben. Toni hatte gerade zu wählen begonnen, als sie die Haustür zufallen hörte; eine Sekunde später — Emma und Joe hatten keinen nennenswerten Flur — stand Emma im Zimmer.
    Ihr Haar und ihre Kleider waren naß, und ihre Augen glühten vor Zorn. »Was tun Sie da?« schrie sie.
    »Ich — ich telefoniere...«
    Emma sprang förmlich durch den Raum und riß Toni den Hörer aus der Hand.
    »Ich bin bloß ein paar Minuten zu spät!« schnaubte sie. Für Toni war ihr Geschrei wie die Fortsetzung von Jacksons Geschrei den ganzen Tag über. »Lieber Gott. Da verspäte ich mich ein paar Minuten, und Sie müssen gleich ans Telefon stürzen und Joe anrufen!«
    »Ich wollte nicht...«
    »Sie regen ihn bloß aufl Das hat ihm noch gefehlt, daß er sich auch noch Sorgen macht wegen mir. Er hat viel zu tun! Er arbeitet bis spät in die Nacht im Moment, weil er so unter Druck steht. Und hysterische Anrufe vom Kindermädchen sind das letzte, was er gebrauchen kann...«
    »Mrs. Serena«, setzte Toni zitternd zur Gegenwehr an, »ich wollte nicht Ihren Mann anrufen.« Emma blinzelte; die Idee hatte sich so in ihrem Kopf festgesetzt, daß es einen Moment dauerte, bis sie schaltete. »Ich wollte Val anrufen, meinen Freund...« Mehr brachte Toni nicht heraus, denn jetzt stürzten ihr die Tränen aus den Augen. Es war ein langer, schwerer Tag gewesen, und jetzt hatte sie nicht mal eine Entschuldigung, sich vor der Verabredung im Zion zu drücken.
    »O Gott, Toni, es tut mir so leid«, rief Emma aus, setzte sich neben sie aufs Sofa und legte den Arm um sie. Sie streichelte ihr über den von Schluchzern geschüttelten Kopf und spürte dabei, wie wenig Unterschied es im Grunde zwischen ihr und Toni gab, wie klein die Kluft zwischen ihnen war, obwohl die Rollen Ehefrau, Mutter, Arbeitgeberin alle auf ihrer Seite der Gleichung standen und sie in die Rolle erwachsen zwangen.
    »Und außerdem, Sie sind nicht ein paar Minuten zu spät!« schniefte Toni jetzt trotzig; mit ihren Tränen ließ sie auch ihrer Wut freien Lauf. »Sie sind fast zwei Stunden zu spät!«
    »Ja — ich weiß«, sagte Emma, plötzlich ganz ruhig, so wie die meisten Schreier, wenn man zurückschreit.
    »Wo waren Sie?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Toni drehte ihr den Kopf zu, ihr Gesicht so rot und naß wie Jacksons den ganzen Tag. »Wie bitte?« sagte sie.
    »Ich weiß nicht, wo ich war«, sagte Emma. »Ich habe mich verfahren.«
    »Oh«, murmelte Toni. Stille und Verlegenheit breitete sich zwischen ihnen aus. Toni hüstelte. »Waren Sie irgendwo, wo Sie sich nicht auskannten?«
    Emma schüttelte den Kopf und sagte dann, wie zu sich selbst, »nein«. Sie blickte auf und lächelte, mühte sich um einen freundlichen Ausdruck im Gesicht. »Nein. Es ist sonderbar. Ich guckte dauernd auf die Straßen... ich kannte sie. Kannte jede einzelne ganz genau. Ich wußte plötzlich nur nicht mehr, wie sie — zueinander verlaufen. Sie wissen schon. Ich fand einfach... den Weg nicht mehr.«
    Toni nickte. Es war ihr peinlich, daß Mrs. Serena ihr heute so komisch kam. »Jackson hatte auch keinen guten Tag«, sagte sie, um das Gespräch auf sicheren Boden zurückzulenken. »So wie heute habe ich ihn noch nie erlebt. Hat sich die ganze Zeit seine kleine Lunge aus

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