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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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dem sie all das hätte sagen können. Sie ging, mit einem Blick so gleichgültig wie nur möglich, aber mit einer Körperhaltung, die den Satz in die Luft schrieb: Ich denke nicht daran, so was einer Antwort zu würdigen.
    »Du hast recht«, sagte Vic, und stand auf. »Hier drin ist eindeutig 1982.«
    »Jaah«, murmelte Tess und starrte in ihr Glas, »aber irgendwie finde ich es schade, daß sie wegging. Ich wollte, daß sie dir den Kopf wäscht.« Vic, der schon im Gehen war, blieb stehen und sah sie fragend an; nach einer Weile guckte Tess hoch und begegnete seinem Blick. »Irgend jemand muß es ja tun, oder?« sagte sie.

    Auf der Toilette waren drei Männer beim Pinkeln, vier andere warteten. Es gab nur ein verschließbares Klo. Der scharfe Uringeruch vermischte sich, wie immer, mit einer leichten Unterströmung homophobischer Verdächtigungen. Vic erinnerte sich, daß Joe ihm früher oft erzählt hatte, wie er es haßte, auf öffentlichen Toiletten zu pinkeln, besonders in überfüllten, denn er fühlte sich immer so unter Druck, schnell fertig zu werden und das Pissoir für den nächsten freizumachen, daß er meist gar nicht konnte. Vic, der immer bereit war, sich zu entleeren, hatte Joes Probleme damals nicht verstanden, fühlte sich aber, so verunsichert, wie er im Augenblick war, in dieser Arena plötzlich beklommen wie nie zuvor: Herrentoiletten sind für die radikal Unverklemmten gemacht.
    Er stand neben Chris Moore und wartete, daß die Klotür aufging. Die so schon wenig verlockende Aussicht, sich Kokain vom Klodeckel reinzuziehen, verlor in dem Maße an Anziehungskraft wie die von innen kommenden Geräusche zu einem immer ungewöhnlicheren Bollern und Stöhnen eskalierten. Was hatte Tess nur gemeint? grübelte Vic. Er hatte sie gefragt, aber sie war auf ein anderes Thema übergesprungen, hatte plötzlich über die Griechen losschwadroniert. War es eine Anspielung auf seine Untreue, und wenn ja, woher wußte sie davon? Wie weit konnte er es treiben? Doch dann ließ Vic das Grübeln sein, weil er an einem Punkt angelangt war, den er gut kannte, jenem Punkt, wo er alles von sich wegschob, was ihn vielleicht noch weiter runter zog, und sich nur mit dem abgab, was gerade anstand, und das war, in diesem Moment, schon trist genug.
    »Dieser Teil hier hat mir noch nie gefallen«, flüsterte Chris Moore in einem erstaunlichen Moment von Ehrlichkeit; eigentlich gehörte er zu den Leuten, die in der miesesten Tristesse noch Glanz entdeckten. »Ich hab immer das Gefühl, alle wissen, was man vorhat.«
    »Vielleicht sollten wir uns küssen«, flüsterte Vic zurück.
    »Wie?« Chris Moore riß entgeistert die Augen auf.
    Vic sah sich um und dann wieder Chris an. »Die falsche Fährte legen...«, sagte er.
    Chris Moore guckte ihn eine Weile verständnislos an, aber dann fiel der Groschen, und sein Gesicht wollte sich schon zu einem verschwörerischen Grinsen verziehen, als die Klotür aufging und ein Mann sich herausschleppte, kahlköpfig und so fett, daß man meinte, er risse die Tür aus den Angeln. Sein Leibesumfang erwies sich jedoch als Segen, weil Vic und Chris Moore hinter seinem Rücken unbemerkt in die Nische schlüpfen konnten, wie bei einem ziemlich billigen Zaubertrick.
    Chris Moore ignorierte den tierischen Geruch, beugte sich sofort über den Klospülungsdeckel, auf dem schon das Zeitungspapierbriefchen lag, das er aus seiner Tasche gezogen hatte, und begann mit dem verstohlenen Kokainritual. Vic sah auf das sich weiß von der Druckerschwärze abhebende Pulver und fühlte sich gleichzeitig gelangweilt und erregt, als würde man mit einer Frau ins Bett gehen, die einem sehr vertraut ist.
    In dem Moment, als Vic die Klotür schließen wollte, zwängte sich eine Gestalt durch den schmalen Spalt. Vic knallte die Tür instinktiv zu, bevor er merkte, wer sich zu ihnen gesellt hatte, aber da posaunte der Eindringling schon los:
    »Haha, Victor!! Zufällig gerade mal wieder auf Engelsflügeln... Flying on an angel’s wings / To a place where your soul sings! «
    Vic starrte Ivan ungläubig an; sein Spitzbart war noch dünner, als er ihn in Erinnerung hatte, ein Adjektiv, das für sein Kinn, oder vielmehr seine Kinne, nicht zutreffend war. »Was zum Teufel machst du hier?«
    »Ich geh hier immer einen trinken!«
    »Ach? Hier drinnen , direkt aus der Schüssel, wie eine Katze?«
    »Oh. Nein, ich hab dich nur hier reingehen sehen, als ich auf die Toilette kam. Na, und da dacht mir, ich lad mich zu eurer Party

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