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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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brennenden Renault Clio, der quer auf dem noch stehengebliebenen Stück Parkmauer saß, und die ein paar Meter abseits davon auf den Boden geworfene Gestalt einer Frau, von oben bis unten mit Glassplittern bedeckt wie mit einem Teppich aus Diamanten, sah er nur für den Bruchteil einer Sekunde, vielleicht nicht lang genug, daß es sich für ewig in seinem Kopf festsetzte — vielleicht würde er letzten Endes doch verschont — , denn in der nächsten Sekunde blendete ihn ein grell aufloderndes Flammenmeer, und danach sah Jerome Abbott nur noch die Dunkelheit, nach der er sich so sehnte.

JOE

    N achdem die Polizei gegangen war, saß Joe lange auf dem Sofa — so lange, daß es heller Tag wurde und das Haus von außen sonderbar aussah mit den zugezogenen Vorhängen. Irgendwann merkte er, wie erschöpft er war, und überlegte, nach oben ins Bett zu gehen, konnte sich aber nicht dazu durchringen, sich vom Fleck zu rühren, denn durch seine Reglosigkeit hatte er sich irgendwie vorgaukeln können, daß alles nur ein Traum war. Er wußte, wenn er sich bewegte, dann würde er sich nicht mehr täuschen können; also zog er sich aus, wo er war, und legte sich hin. Aber er konnte nicht einschlafen, wie zum Ausgleich für seine vorherige Starre wälzte er sich ruhelos hin und her und versuchte, mit jeder Faser seines Körpers mit dem Sofa zu verschmelzen, sich in es zu versenken — er schob seine Finger in die Ritzen zwischen den Polstern, preßte sein Gesicht auf die Armlehne, seine Knie in die Federung. Irgendwo in der Tiefe dort waren ein anderer Raum und eine andere Zeit.
    Er konnte nichts fühlen. Nicht weil ihm die Sinne versagten, wie bei vielen Menschen, die plötzlich von einer Tragödie heimgesucht werden, sondern weil ihn zu viele und übermächtige Gefühle bestürmten, die aber nicht alle in dieselbe Richtung wiesen, manche löschten andere aus. Sogar seine Erschöpfung war zwiespältig. Einen gestreßten Menschen überkommt meistens irgendwann die Müdigkeit, und als eine Art Flucht fällt er schließlich in Tiefschlaf. Aber Joe wußte, daß seine Erschöpfung nicht vom Streß kam — er war zerschlagen, weil er die Nacht mit Tess verbracht hatte, und jetzt seiner Müdigkeit nachzugeben und einzuschlafen wäre ihm verwerflich vorgekommen.
    Schließlich setzte er sich wieder aufrecht hin und sagte sich, daß er nach Jackson sehen sollte, der oben schlief und den ganzen Morgen nicht geweint hatte. Sein Schlummer und seine Ahnungslosigkeit hüllten ihn in einen sicheren Kokon ein. Als die Polizei gestern herkam, hatte sie Toni allein im Haus angetroffen, die bereits verzweifelt war, weil Emma sich schon wieder verspätete. Sie hatten ihr den schrecklichen Grund erklärt und sie dann heimgeschickt. Die Polizistin, selbst zweifache Mutter, hatte ihr auf sachliche, aber keine Widerrede duldende Art erklärt, daß sie sich um das Baby kümmern würde. Ich muß hochgehen und mich vergewissern, daß alles in Ordnung ist, dachte Joe. Aber dann machte ihm der Gedanke an Jackson Angst, warum, wußte er nicht — vielleicht wegen der Flut von Traurigkeit, die ihn überströmen würde, wenn er in Jacksons Gesicht Emmas Züge sah, oder vielleicht weil der Anblick seines Jungen ihn dessen Zukunft vorausahnen ließe, die jetzt so ungewiß geworden war, so anfällig für potentiellen Schaden. Oder weil er vielleicht Jackson irgendwie immer noch die Schuld an den Problemen zwischen ihm und Emma gab, Problemen, die womöglich für ihren Tod verantwortlich waren.
    Ihr Tod. Als der Polizist und die Polizistin mit ihm sprachen, hatten sie einen großen Bogen um diese Worte gemacht. In der förmlichen Mitteilung des Polizisten kamen die Worte »ein Unfall« vor, »die Wucht des Aufpralls«, »Sekundärexplosion«, »ein Zeuge verlor das Bewußtsein«, und in der schlichten, mitfühlenden Sprache der Polizistin war von »Tragödie« die Rede gewesen, »sinnloser Katastrophe«, »spürte keinen Schmerz«, aber den Satz Ihre Frau ist tot hatten sie nicht gesagt. Sonderbar, daß er ihn sich bei solch einer ungeheuren Nachricht selbst zusammensetzen mußte, die Hinweise und Andeutungen hin- und herwälzen, bis sich der Satz langsam in seinem Kopf formte, wie Untertitel in einem Film, weiße Worte, die sich dann in der schwarzen Leinwand auflösten. Aber die Worte in seinem Kopf hießen Meine Frau ist tot, und sie lösten sich nicht auf.
    Ich sollte nicht allein sein, dachte Joe. Aber auch dies war kein eindeutiges Gefühl. Die letzten Worte

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