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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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der Polizistin waren gewesen: »Haben Sie jemanden, den Sie anrufen können?« Nein, hatte Joe erwidert, er wolle im Augenblick lieber allein sein. Aber im Grunde wollte er es gar nicht; er hatte es nur gesagt, weil er nicht wußte, wen er anrufen sollte. Natürlich dachte er an Vic, seinen besten Freund, aber er hatte gerade die Nacht mit Tess verbracht und deswegen Schuldgefühle ihm gegenüber. Schuldgefühle gegenüber Vic? Was war mit seinen Schuldgefühlen gegenüber Emma? Die konnten nun nie mehr beschwichtigt werden. Als er bei seiner Heimfahrt in der Morgendämmerung nach Entschuldigungen suchte, war in seinem Hinterkopf die ganze Zeit eine Tonspur abgelaufen — die seiner Beichte vor Emma, daß er ihr die Geschichte irgendwann gestehen würde, davon war er in seinen unterschwelligen Gedanken offenbar überzeugt. Aber jetzt konnte er diese Beichte nie mehr ablegen. Oder vielmehr, er würde es ständig tun, aber nie wissen, ob sie ihm vergab oder nicht.
    Seine Augen wanderten zu dem Tisch neben dem Sofa, auf dem das Telefon stand, das alte Bakelitmonster, das sie vor zwei Jahren eines Sonntag nachmittags auf dem Greenwich-Market gekauft hatten, nachdem sie lange im Bett gelegen und sich den ganzen Vormittag damit geneckt hatten, daß sie sich geschworen hatten, heute einkaufen zu gehen. Eine Weile lang, das wußte Joe, würde jeder Haushaltsgegenstand, jeder Ort, an den er ging, jeder Mensch, den er traf, mit dieser Art Zusatz versehen sein, einer Fußnote, die aus der Erinnerungsseite herausstach, um Emmas Beteiligung daran aufzuführen. Eine Weile. Oder vielleicht auch länger.
    Durch den Spalt in den Vorhängen konnte er sehen, daß es ein herrlicher Tag war. Ein herrlicher Tag: Joe wurde klar, daß sein Leben von nun an wie das eines Liebenden auf einer einsamen Reise sein würde, der immer, wenn er durch ein Zug- oder Flugzeugfenster einen schönen Ausblick hatte — das Meer, die rote Sonne, einen Reiher — , nur Traurigkeit empfand, weil die, mit der er das alles gern teilen würde, nicht da war. Das Licht störte ihn, er wandte die Augen ab und starrte wieder auf das Telefon. Der Anrufbeantworter daneben blinkte: zwei Nachrichten. Eine davon kannte Joe — gegen den Ballast ankämpfend, den sie ihm entgegenzudrücken schien, streckte er den Arm aus und drückte auf die Abspieltaste. »Dienstag, 18.20 Uhr«, sagte die metallische Frau, die innen drin wohnte. Durch alle Angst und Anspannung schoß ein banaler Gedanke Joe durch den Kopf: Wieso war Toni gestern abend nicht ans Telefon gegangen? Na, wahrscheinlich war sie oben gewesen und hatte nach Jackson geschaut. Das Band surrte. Er hörte das Einklicken der Ansage und dann das leise, hohle Rauschen der Leitung, in die niemand sprach; im Hintergrund gedämpfter Verkehrslärm, im Vordergrund — es klang, als atme jemand. Ja, immer noch. Bitte, flehte er, wenn du es bist, sag etwas, irgend etwas, laß mich noch ein einziges Mal deine Stimme hören, aber dann — wie rücksichtslos, wie blind gegen die eigene Grausamkeit — das Klicken, mit dem der Hörer aufgelegt wurde und unnötige vier Sekunden das Rufzeichen erklang. »Dienstag, 18.50 Uhr«, sagte die Frau, und Joe, der wußte, was jetzt kam, meinte eine Sekunde eine Spur Vorwurf in ihrer Stimme zu hören.
    »Hallo, Liebling — nimm nicht ab —, ich will dir bloß sagen, daß ich heute abend noch was erledigen muß — hat irgendwie mit der Arbeit zu tun.« Er hatte von seinem Handy angerufen; im Hintergrund konnte er das laute, verläßliche Puffen des Volvo hören. Es mußte ungefähr zehn Minuten vor seiner Ankunft bei Tess gewesen sein. »Ich erklär es dir, wenn ich heimkomme. Kann vielleicht spät werden, ich weiß es noch nicht.« Dann eine Pause, Joe erinnerte sich, wie er sich einen Ruck geben mußte, ehe er sagte: »Ich liebe dich, bis später, Tschau!« Klick, surr.
    Jetzt haßte Joe diese Pause, die Tatsache, daß er gezögert hatte, ehe er ihr sagte, daß er sie liebte, und dann noch auf so knappe, beiläufige Art, typisch für Ehemänner und Ehefrauen auf Anrufbeantwortern. Vor allem das machte ihm jetzt zu schaffen, wie bedeutungslos dieses »Ich liebe dich, Tschau!« klang, schlimmer noch: In seinem leichten Dahingesagtsein, seiner Reflexhaftigkeit war es das genaue Gegenteil einer leidenschaftlichen, spontanen Liebeserklärung. Er erinnerte sich, daß Vic einmal etwas in der Richtung gesagt hatte.
    Es war eine ganz und gar typische Joe-Botschaft, ohne jeden Anklang von Falsch.

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