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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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er, was für Tess selbst zweifellos unbemerkbar war, eine winzige, aber unauslöschliche Erinnerungsspur an die letzte Nacht. Und dann umarmten sie sich, und auch als er ihr Gesicht nicht mehr sah, war diese Erinnerung noch da, allein in der Art ihrer Berührung. Joe konnte ein gemeinsames Wissen um die Ironie ihrer Umarmung fühlen, im Kontext so verschieden von der vergangenen Nacht, und doch so ähnlich, denn ihre Körper waren auf die gleiche Weise aneinandergeschmiegt.
    Und jetzt saßen sie alle zusammen im Wohnzimmer, Vic und Tess auf dem Sofa, Joe in dem Sessel gegenüber, und sprachen über Tassen heißen, süßen, von Tess zubereiteten Tees hinweg miteinander, sprachen über den Unfall, über Emma, darüber, was zu tun war, wie unfaßbar das Ganze war, wie es mit Jackson weitergehen sollte, wie es keinen Gott geben konnte, sie redeten und redeten — und Joe wußte nicht, ob es nur ihm so ging, oder ob sie alle spürten, daß etwas nicht stimmte. Er war nicht richtig da, sie alle nicht. Es war nicht, wie es sein sollte, sie befanden sich in keinem Raum, wo sich reine Trauergefühle von einem zum anderen ergossen, einer die Gefühlswogen des anderen abfing und zurückfließen ließ wie eine Hafenmauer das stürmische Meer. Der Weg dahin war Joe von Anfang an versperrt durch die schreckliche Tyrannei profaner, kalter Details. Details konnten sonstwohin führen, ihre Pfeile zu den verborgensten Winkeln abschießen. Gleich im ersten Moment, als er es am wenigsten erwartet hätte, in der unverfänglichen Ära schlichter Fakten, war er in die Detailfalle getreten:
    »...und... die Polizei war schon hier, als ich in der Nacht zurückkam...«
    Woher zurückkam? Er konnte nicht einmal daran denken, ohne daß ihm das Blitzlichtbild der nackten Tess durch den Kopf wirbelte, ihn von hundert Seiten umkreiste. Und er wünschte sich so, es jetzt nicht zu sehen — er wollte es vertreiben, Platz für seinen Kummer haben und seine Tränen, aber das Bild kam immer wieder.
    Auch jetzt wollte es nicht weichen.
    »Wo war sie?« fragte Tess nach einer Pause, einer der vielen, die dieses Gespräch durchzogen. Sie waren an den Punkt gelangt, wo sie über ihren sprachlosen Zorn und Kummer hinaus waren; in irgendeiner Form mußten sie mit der Verarbeitung des Schreckens beginnen. »Ich meine, was hatte sie in Denmark Hill zu suchen?«
    »Ich weiß es einfach nicht«, sagte Joe mit schwerer Zunge. »Die Dienstage waren sozusagen ihr Tag — ihr wißt schon, ihr freier Tag von Jackson und allem aber was sie da tat, wußte ich im Grunde nicht. Ich glaube, sie fuhr einfach hier- und dorthin, besuchte Freunde... ich weiß es nicht.«
    Er stierte in seine leere Tasse, auf den Halbmond brauner, getrockneter Flüssigkeit am Boden des Porzellans. Tess sah zu Vic hin, als wollte sie sagen: Hilf mir, er driftet ab, aber auch Vic guckte unter sich. Schließlich sagte sie:
    »Und die Polizei hat eindeutig gesagt, daß sonst kein Auto an dem Unfall beteiligt war?« Joe nickte.
    »Gott... das ist wirklich seltsam. Ich meine, sie war doch so eine gute Fahrerin, oder nicht?«
    Wieder nickte Joe. Sprechen kostete ihn zuviel Mühe.
    »Aber warum sollte sie einfach gegen die Mauer rasen?«
    Aber dann sprach Joe.
    »Ich glaube... ich glaube, sie hat hier angerufen.«
    »Wann?«
    »Gestern abend. Gegen halb sechs. Auf dem Anrufbeantworter ist eine Nachricht.«
    »Was sagt sie?«
    »Nichts. Nur Schweigen. Und dann wird aufgelegt.«
    »Hast du die Störungsstelle angerufen?« Leichte Überraschung huschte über Joes Gesicht bei Tess’ unbeirrter Fragerei. »Entschuldige, Joe... ich wollte nicht sagen...«
    »Ist schon gut.« Er wußte, worauf Tess aus war, warum sie nicht locker ließ: weil sie die eine Frage und die Antwort darauf vermeiden wollte. »Nein, habe ich nicht. Es war ja noch eine Nachricht drauf, und die war gut zu hören. Sie war von mir.«
    Wieder Schweigen, wieder das Gefühl, daß ihr Gespräch in einer Sackgasse gelandet war.
    »Eins verstehe ich einfach nicht«, fuhr Joe fort, »die Polizei sagt, sie war nicht angeschnallt.«
    Vic sah auf. Tess guckte verwirrt.
    »Sie hat immer den Sicherheitsgurt umgelegt. Immer. Und ständig mit mir geschimpft, weil ich oft zu faul dazu war.«
    »Woher weiß die Polizei das denn?«
    Joe sah ihr in die Augen, und zum ersten Mal mischten sich keine verfänglichen Erinnerungen in seinen Blick.
    »Weil...«, und hier merkte Joe, wie seine Phantasie dichtmachte, »sie aus dem Auto geschleudert wurde. Ihr

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