Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)
entziffern können, aber die Absicht zählt, oder?
8. Tod und Moral
E ine Woche später habe ich von der Tänzerin immer noch nichts gehört. War zwar nicht anders zu erwarten, aber die Hoffnung ist der Wein der Träumer. Britta nennt mich nur noch Euer Impotenz . Ich würde ihr gerne alles erzählen, aber irgendwas sagt mir, dass sie sich die Leier mit der Tänzerin nicht noch mal anhören möchte. Sogar Vivi ist es aufgefallen, dass ich durchhänge, und sie hat versucht, mich auf die einzige Art aufzumuntern, mit der sie näher vertraut ist. Sie bot mir sogar an, dass ich sie dabei anders nennen könnte. Ich erinnerte sie daran, dass sie verliebt ist. Sie fragte, was das damit zu tun hätte ... Stattdessen bat ich sie, mir einen Kaffee zu machen. Ein Fehler, den ich nicht wiederholen werde.
Ähnlich wie Vivis Kaffee hinterlässt es einen seltsamen Nachgeschmack, dass Karin S. in der Stadt herumrennt und lauthals verkündet, dass die Idealisten von gestern die Arschkriecher von morgen sein werden. Keine Ahnung, wovon sie redet, aber sie scheint sich da ja auszukennen.
Es gibt auch Anlass zur Freude. Der Musikverlag hat uns ein ziemlich gutes Angebot unterbreitet, und die Jungs stehen Kopf. Wir stecken fast täglich im Probenraum und werkeln an den Titeln herum. Ja, es gibt gute Gründe, warum es mir momentan gut gehen sollte:
1) Die Frau, die ich liebe, ist wieder in der Stadt.
2) Die Frau, die ich begehre, ist wieder in der Stadt.
3) Die Band steht bald auf den Brettern, die die Stadt be-
deuten.
Und drei, die dagegen sprechen:
1) Ich warte.
2) Und ich hasse Warten.
3) Und ich hasse mich, wenn ich warte.
Ich rufe Max an. Keine Laune von mir, die ihn noch erschrecken könnte.
»Hm?«
»Ich bin’s.«
»Hm.«
»Haste Zeit?«
»Hm?«
»Nichts Bestimmtes.«
»Lassunsindistatfarn.«
»Tolle Idee.«
Wir landen in einem Café auf dem Ring und erwischen Galerieplätze. Um uns herum tobt der Konsumkrieg, und je hektischer es zugeht, desto ruhiger werde ich. Großstadtmeditation.
Am Nebentisch reden zwei lila Frauen über Männer und das Problem an sich. Ich versuche, aus dem, was sie von sich geben, schlau zu werden, aber anscheinend bin ich zu blöd, denn jedes Mal, wenn sie Gleichberechtigung sagen, kommt bei mir Rollentausch an. Okay, wäre ich als Frau zur Welt gekommen, würde ich es vielleicht auch so sehen, ja, die Chancen ständen nicht mal schlecht, dass ich als die größte Kastriererin aller Zeiten in die Geschichte eingehen würde. Aber auch wenn ich jeden Scheißvergewaltiger und die ganzen hirnlosen kriegsgeilen Säcke – von den beschissenen Kinderfickern ganz zu schweigen – gerne persönlich in den Arsch treten würde, ist es Fakt, dass Machtmissbrauch und Dummheit geschlechtsübergreifend sind. Und Männer hatten in den letzten Jahrtausenden einfach öfter Gelegenheit, in diesen Sparten zu glänzen, und daher ... Rollentausch? Ach, scheiß drauf – wieso eigentlich nicht? Schlimmer wird’s nimmer.
Ich habe mich wohl zu weit rübergelehnt, denn die eine schnauzt mich an, ob ich ihr nicht noch in den Ausschnitt kriechen will. Ich versuche, ihr zu erklären, dass mich das Thema an sich interessiert, aber ich ernte nur ein empörtes Ha! , und da die andere gleichzeitig anfängt, hektisch in ihrer Handtasche herumzuwühlen, rücke ich schnell einen Stuhl weiter, bevor ich mir eine Ladung Senfgas einhandle.
Max schaut mich still an und verzieht keine Miene, aber ich weiß, dass er unter seinem Stein resignierend den Kopf schüttelt.
»Was meinst du, gibt es eine Möglichkeit, auf Dauer glücklich zu sein?«
Er hebt eine Augenbraue einen Millimeter.
»Für dich?«
Ich nicke.
Fünf Camels später lehnt er sich zu mir rüber und sagt:
»Halte dich dem Showbiz fern, such dir einen Job mit Festgehalt, ignoriere die Nachrichten und hör auf, dein Glück von einer funktionierenden Beziehung abhängig zu machen.«
Ich starre ihn an.
»Ist das alles?«
»Könnte funktionieren.«
»Arschloch.«
»Gern geschehen.«
Wir hängen noch ein paar Gin Tonics herum und machen Frontberichterstattung. Die Fußgänger werden zu Zivilisten, die Radfahrer zu Selbstmordkommandos, die Rolle der Heckenschützen übernehmen die Autofahrer, und die uno tritt in grünweißen Uniformen auf.
Eine kleine Stunde später haben wir außer ein paar toten Friedenstauben keine Verluste zu beklagen, aber doch genügend Verletzungen der Menschenrechte notiert, um die Sache an Amnesty International
Weitere Kostenlose Bücher