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Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Titel: Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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! Ich brauchte eine knappe Stunde, um mich davon zu erholen. Dann fing ich an, den Widerstand zu organisieren. Als Erstes stellte ich ihn vor die Wahl: Musik aus oder Kotze auf dem Sitz. Das war das Ende unserer Freundschaft, denn einmal in Fahrt geraten, fragte ich ihn auch gleich, ob er in seiner süßen Sportlergruppe noch Platz für einen bisexuellen fc -Infizierten hätte.
    » fc-was ?«, platzte er heraus und warf mir einen misstrauischen Blick zu.
    »Komm schon, was wäre das Leben ohne ein bisschen Risiko?«, lächelte ich und legte meine Hand auf seine.
    Nur der Gurt rettete ihn vor einer unbedachten Bewegung.
    Und jetzt? Jetzt sitzen wir zwei alten Frontschweine hier und starren zackig geradeaus, aneinander vorbei. Ich habe ihn alle halbe Stunde mal gefragt, ob es okay wäre, wenn ich eine rauchen würde, und er hat alle halbe Stunde nein! geschmettert. Nee, er ist echt nicht mehr so gut drauf wie am Anfang, aber so ist es ja in den meisten Beziehungen. In seinem Fall kann es allerdings auch damit zusammenhängen, dass er zu einer termingebundenen Verabredung in Hannover unterwegs ist, und jede Minute, die wir hier im Stau herumstehen, bringt ihn noch mieser drauf. Wahrscheinlich wird er mich deswegen auch an der ersten Haltestelle in Hannover rauswerfen, und dann kann ich zusehen, wie ich es nachts noch bis zu meiner Mutter nach Wolfsburg schaffe.
    Gerade schaut er zum x-ten Mal auf die Uhr. Aus Langeweile beschließe ich, die diplomatischen Beziehungen noch ein kleines bisschen zu belasten.
    »Wussten Sie eigentlich, dass Hitler nicht mit Eva Braun schlief?«
    Er zuckt zusammen und presst die Lippen aufeinander.
    »Und haben Sie in den Filmen mal darauf geachtet, wie oft Hitler Kinder auf dem Schoß hatte? Da kann man ja auf seltsame Gedanken kommen, was?«
    Es dauert ein bisschen, dann kriegt er den Faden und etwas Farbe. Himmel, in welcher Zeit leben wir? Die Nazis werden rot ...
    » Was wollen Sie damit sagen?«
    »Nichts, gar nichts, rein gar nichts, wirklich.«
    Er gibt mir das, was er für einen überlegenen Blick hält.
    »Die Kinder waren zu Propagandazwecken da«, schnarrt er und beißt dann die Zähne mit einem Knall zusammen.
    »So, so, Propaganda, ja?«
    »JA!«
    Oh, oh ... Noch ein kleiner Vorfall an der Grenze, und er gibt Schießbefehl.
    »Wenn das so ist, dann war der ganze Arierkram wohl auch nur Propaganda, was? Da fällt mir ein, musste man nicht groß, blond und blauäugig sein, um sich damals fortpflanzen zu dürfen, wie? Und war Hitler etwa nicht klein, dunkelhaarig und braunäugig, wo?«
    »Der Herr Hitler nahm uns die Arbeitslosen!«
    »Ach, schau an, der Herr nahm sie also zu sich, ja? Fünfzig Millionen Tote sind aber ein verdammt hoher Preis für ein bisschen Arbeit.«
    »Wir müssen alle Opfer bringen«, sagt er blasiert.
    Verdammt ... Ich setze mich noch fester auf meine Hände, aber gegen meinen Mund habe ich noch kein Mittel gefunden.
    »Und was war mit den Millionen Kindern, was? Und den Millionen Frauen, wie? Und den Millionen Männern, wo? Alles Arbeitslose, ja?«
    Er lächelt, und ich verliere die Fassung.
    »Schwule! Lesben! Zigeuner! Behinderte! Geistliche! Dichter! Maler! Schriftsteller!«
    Er verzieht die Oberlippe zu einem arroganten Lächeln.
    »Belgier! Niederländer! Russen! Briten! Schotten! Franzosen! Polen! Amerikaner! Rumänen! Bulgaren! Portugiesen! Italiener! dänen! schweden! finnen! griechen! türken! «
    »Ausländer ...«, schnarrt er verächtlich.
    »saarländer! bayern! hessen! ...«
    Mir bleibt die Luft weg. Mann, jetzt reiß dich verdammt noch-mal zusammen! Diese Typen merken eh nichts, also scheiß auf die Moral und den ganzen Quatsch, mach ihn fertig, mach ihn lächerlich, aber, verdammt nochmal – appelliere nicht an seinen Verstand! Hätte er einen, wäre er nicht, was er ist!
    Ich atme tief durch. Du bist in einem Wald ... die Vögel zwitschern ... Oh, verdammt, da sitzt er und lächelt, das arrogante, dumme – ich sagte! Du bist in einem Wald! Die Vögel zwitschern! Ach was, scheiß auf die Vögel! In der guten alten Zeit hätte dieser Wichser mich längst erschießen lassen, meine Familie vergast, meine Freundin vergewaltigt, meine Freunde nach Bergen-Belsen geschickt und meine Lieblingsbücher verbrannt, also, was rede ich mit diesem arschloch wie mit einem menschen ! ... So ... Du bist wieder in dem Wald ... Du atmest tiiief durch ...
    Irgendwann fällt mein Magensäurespiegel wieder, ohne dass etwas passiert ist. Ich habe nicht mal was

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