Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)
Last-Minute-Ticket nach Nirgendwo zu sichern. Keine Beziehung engt so sehr ein wie Armut.
Als die Linie 4 mich ausspuckt, habe ich meine Monatsration mürrische Gesichter gehabt und schwöre mir mal wieder, alleine deswegen so lange wie möglich als Freischaffender durchzuhalten, um nicht jeden Morgen in der Bahn so übel angebürgert zu werden.
In der WG angekommen, rufe ich sofort Max an.
»Hm?«
»Ich bin’s.«
»Hm.«
»Hast du Kohle?«
»Hm?«
»Bowle.«
»Hm!«
Zehn Minuten später ist er da, und wir gehen literweise Gin und Sekt und ein paar Kilo Ananasstücke in Büchsen besorgen. Die Ananas im Gin vierundzwanzig Stunden ziehen lassen, dann den Boden der Gläser mit Früchten bedecken, mit Sekt auffüllen, und man hat einen Cocktail, der wie ein guter Lover wirkt – man lässt ihn einfach machen, und irgendwann ist man dann so weit. Aus den vierundzwanzig Stunden wird heute nichts, also füllen wir den Ananassaft separat ab, damit die hohen Prozente pur in die Früchte einschlagen können.
Als die Bombe aktiviert ist, hänge ich mich ans Telefon, und eine Stunde später habe ich mit allen Maschinen der Stadt gequatscht. Bis die Leute eintreffen, machen wir schon mal ein Warm-up in Sachen Ananas und wühlen in altem Vinyl herum.
Als Schimanski und Brunner ein paar Stunden später eintreffen, sind wir schon angeknallt und streiten uns über existenzielle Fragen wie: Spielt man nach Baby Love eher Try oder Highway to Hell ? Natürlich ignorieren Brunner und Schimanski die Fragen sowie die mühsam zubereiteten Käsehäppchen und machen sich zielstrebig auf die Suche nach der echten Ware. Eigentlich kann ich es mir nicht leisten, so viele Künstler zu kennen. Sie haben alle kein Geld, aber jede Menge Zeit, es auszugeben. Kenne ich sie, weil ich arm bin, oder bin ich arm, weil ich sie kenne? Fragen über Fragen, und keine Antworten weit und breit. Ja, ja, das Leben ist hart. Ananas macht es weicher.
10. Ein Hurrikan zieht auf
V ivi kommt um fünf nach Hause, und bei dem Zustand der Wohnung hellt sich ihre Miene sichtbar auf. Wow – Männer und Alkohol! Fehlt nur noch, dass das Telefon klingelt, dann kriegt sie stehenden Fußes einen Orgasmus. Sie muss unbedingt duschen und scharwenzelt, nur mit einem schwarzen Nichts bekleidet, an den Jungs vorbei ins Bad und hat dann doch tatsächlich ihr Handtuch in ihrem Zimmer vergessen. Huch-ja-so-was-aber-auch! Scharwenzelt wieder zurück. Ach, nein, da ist es ja auch nicht. Aber vielleicht hier, in der alleruntersten Schublade. Ach, was muss man sich aber auch tief bücken, um da dranzukommen, was? Ich schaue mir das Ganze gelassen an. Einige brauchen das Rampenlicht, andere eine existenzielle Absicherung. Was Vivi braucht, liegt auf der Hand. Oder tiefer.
Auf dem Rückweg vom Duschen rutscht ihr das Handtuch runter. Nicht ganz, nur weit genug, um das untere Bewusstsein in Gang zu setzen, und ich ertappe meinen Körper tatsächlich dabei, gefährliche Blutkonzentrationen in die falschen Bahnen zu lenken. Sie hat nun mal diesen Luxuskörper, und die Ananas macht, dass ich es gerade nicht so eng sehe, daher rufe ich mir schnell WG-Regel Nummer drei ins Gedächtnis, und die lautet:
1) nein !
2) nein !
3) nein !
Es würde mich wirklich interessieren, womit Vivi ihren Tag verbringen würde, wenn Drogen und Sex verboten wären. Aber malen wir nicht gleich den Teufel an die Wand.
Heike trifft ein. Niemand hat sie eingeladen, aber ihr den Zutritt zu einer Party zu verwehren wäre, als würde man Iggy Pop nicht auf die Bühne lassen. Sie erzählt mir, dass sie die Tänzerin gestern auf einer anderen Party getroffen hat, und scheint auf einen Kommentar von mir zu warten, aber da könnte ich auch gleich ein Rundschreiben rausgeben, also schweige ich. Sie fragt mich sofort, ob es mir damit nicht gut gehen würde ...
Britta trudelt ein und mit ihr ihre ganze WG, die zurzeit ausschließlich aus Frauen besteht. Rote Haare, blonde Haare, schwarze Haare – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Die Jungs denken, ich hätte das für sie arrangiert, und stoßen auf meine Fürsorglichkeit an.
Die Räume füllen sich, und spätestens, als die Toilettentür klemmt und man, während sich draußen eine Schlange bildet, von drinnen den Freudengesang eines gerade sehr, sehr, sehr glücklichen Pärchens vernehmen kann, spüre ich es: Es riecht nach Freiheit und Leidenschaft, nach Musik und Drogen, nach Sehnsucht und purem Wahnsinn! Ja, es liegt was in der Luft, die Zeichen
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