Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)
ihr sachte über die Haare streiche.
»Keine Angst, ich tue dir nichts. Es ist nichts passiert, das Leben ist nicht immer so. Meine Mutter ist gestorben, aber die Band wird leben. Die Tänzerin kann nicht lieben, aber Britta kann es. Der FC wird nicht absteigen, es wird alles wieder gut. Mach dir keine Sorgen, du bist nicht alleine da draußen. Es gibt noch Hoffnung, hörst du mich? Hoffnung! Hey, schau mal, ein neuer Tag ... ist es nicht ein gottverdammtes Wunder?«
Ich erzähle ihr alles. Sie ist eine tolle Zuhörerin. Irgendwann erwachen die Bürger, Zeit zu verschwinden. Vorher fülle ich meinen Blaseninhalt in die leere Pastisflasche zurück und stelle sie wieder in die Bar. Von solchen Typen nehme ich nichts geschenkt.
20. Spieltag
T ag X. Blauer Himmel, klarer Kopf. Der Gedanke an heute Abend verschafft mir den ersten Adrenalinstoß des Tages. Energie in jeder Faser.
Es klopft an der Tür. Vivi kann es ja dann nicht sein.
»Ja?«
Die Tür schwingt auf, und Vivi trägt ein großes Tablett herein. Croissants, Aprikosenmarmelade, die Tageszeitung und ... eine Kanne Kaffee. Wie sage ich es ihr nett?
Hinter ihr taucht Marco auf. Er trägt frisch gepressten Orangensaft und eine Vase mit ein paar Lilien vor sich her. Sie bauen alles vor mir auf, setzen sich dann hin und strahlen mich wortlos an. Ich schaue vom einen zum anderen. Was wird das denn jetzt?
»Wenn ihr auf ’n flotten Dreier spekuliert, dann vergesst es. Ich bin zu alt für so ’n Scheiß.«
Vivi stupst Marco an.
»Hab ich’s nicht gesagt? Er ist wieder ganz der Alte.«
Toll. Kaum bin ich ein paar Tage nicht in Form, muss ich mich schon von Vivi beklugscheißern lassen. Womit hab ich das verdient?
»Na, wegen des Auftritts«, platzt Marco erstaunt heraus.
Ich schaue ihn finster an. Sein Lächeln wird brüchig.
»Vielleicht möchte er lieber alleine frühstücken«, flüstert er zu Vivi und zupfelt dabei nervös an ihrem Ärmel herum.
Vivi schaut mich an und, bei den Göttern, ich schwöre, es liegt so etwas wie Verständnis in ihrem Blick.
»Wir sehen uns ja heute Abend, und dann wollen wir was erleben.«
Ich zucke mit den Schultern, kein Problem, irgendetwas gibt es immer zu erleben.
Sie begleitet Marco hinaus und steckt dann den Kopf noch mal zur Tür herein.
»Und falls du heute Abend nicht so richtig in Schwung kommen solltest ... In meiner Kommode in der obersten Schublade liegen noch ein paar Gramm Koks und etwas Speed. Ich brauch das nicht mehr.«
Die Tür schließt sich, und ich kann in aller Ruhe an meinem Gehör zweifeln. Hat diese Person, die vor einem Monat noch einen eigenen Dealer beschäftigt hat, mir eben mitgeteilt, dass sie keine Drogen mehr nimmt?
Bevor ich mir diese elementare Frage beantworten kann, schwingt die Tür wieder auf.
»Und setz mich plus eins auf die Gästeliste, ja?«
Die Tür schließt sich wieder, ohne dass sie eine Antwort abgewartet hätte. Na, wenigstens etwas ist beim Alten geblieben.
Es klopft wieder.
»Verdammt, was noch?«
Marco steckt den Kopf rein.
»Kann ich dich kurz sprechen?«
»Okay«, seufze ich und schreibe den Morgen ab.
Er bleibt einen Meter hinter der Tür stehen, und es fehlt nur noch, dass er einen Hut zum Knautschen hervorholt.
»Was gibt’s?«, frage ich ihn schließlich, bevor er sich in ein Mauseloch verkrümeln kann.
»Na ja, es ist so ... ich habe hier gewohnt, während du ...«
Er sucht nach den richtigen Worten.
»Weg warst«, helfe ich nach.
»Genau«, strahlt er, »du warst weg!«
»Und?«
»Na ja, ich habe noch keine eigene Wohnung, und Vivi meinte ...«
»Jaah ...?«
»Na ja ...«
»Vivi meinte, was?«
»Na ja, dass ich vielleicht erst mal hier wohnen könnte«, sagt er und studiert den Teppich ausgiebig.
Na, da geht mir ja ein Lichtlein auf: Frühstück als Bestechung.
»Ich habe deine Sachen gesehen. Ist ja nicht viel, was du mitgebracht hast.«
»Na ja, der Rest steht noch bei meinen Eltern in Tübingen. Das hole ich erst ab, wenn ich eine feste Bleibe habe.«
»Und?«
»Na ja, es wäre nur für die erste Zeit ...«
»Und wie lange wird diese erste Zeit ungefähr dauern?«
»Na ja, das weiß ich nicht. Ich bin täglich auf Wohnungssuche. Ich kann mich auch an der Miete beteiligen ...«
Kann man dem jungen Glück im Wege stehen?
»Meinetwegen.«
Er springt fast in die Luft vor Freude.
»Unter einer Bedingung«, bremse ich ihn.
»Ich kann die erste Miete sofort bezahlen und ...«
»Kohle klärst du mit Vivi. Was ich will, ist
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