Was mit Hass begann
für seinen Bruder halten.
Als er fertig war, ging er mit einem Lachen über meine skeptische Miene hinweg und versicherte mir, er würde den geplanten Streich bestimmt erfolgreich durchziehen. Ach so, und dann fragte er mich noch ganz ernsthaft: »Wer sieht besser aus, mein Bruder oder ich?«
Ich wollte seine Gefühle nicht verletzen. Aber eins steht fest: was gutes Aussehen betraf, stand Kane eine ganze Klasse über ihm. So taktvoll wie möglich antwortete ich: »Sie sehen bestimmt nicht übel aus, Mike, aber Kane...« Ich konnte den Satz nicht zu Ende führen, denn Mike lachte laut auf und küßte mich herzhaft auf beide Wangen. Irgend etwas an meiner Äußerung muß ihm gefallen haben. Ich weiß nur nicht, was.
Da er darauf beharrte, daß er durchaus für seinen Bruder durchgehen könne, blieben wir noch ungefähr eine halbe Stunde am Bach. Ich mußte ihm nähere Angaben über die einzelnen Teilnehmerinnen der Gruppe machen, damit er sich allen gegenüber richtig verhielt. Ich erzählte ihm von Winnie/Maggie. Er lachte über die Scherze, die ich über das Duo machte. Da wußte ich, daß ich einen guten Zuhörer hatte, und redete drauflos. Zu Anfang hatte ich mich noch gehütet, über Ruth zu sprechen. Doch Mikes Gelächter und Grinsen ermutigten mich. Je mehr er über meine Witze lachte, um so hübscher fand ich ihn übrigens. Ich kam allmählich so in Fahrt, daß ich ihm zum Schluß eine kleine Stegreifparodie auf Kane und Ruth vorspielte, bei der er sich vor Lachen auf dem Boden wälzte.
Mitten in sein Gelächter hinein rief ich: »Nebenbei bemerkt, stimmt es wirklich, daß Kane mich abgrundtief haßt.«
Er schien betroffen. Doch ich las ihm von den Augen ab, daß Kane ihm von mir erzählt hatte. Nur versehentlich hatte Mike mich für die »Gute«, also Ruth gehalten. »Wie kam es dazu?« wollte er wissen.
An seinem Ton merkte ich, daß er nicht verstand, wie jemand mich hassen konnte. Das war angenehm, äußerst angenehm zu hören, und ich bedankte mich mit einem liebevollen Lächeln. »Sie sehen vielleicht nicht so gut und so sexy wie Ihr Bruder aus, aber Sie gefallen mir viel besser. Können Sie nicht die ganze Tour über unser Anführer sein?« Irgendwie schien ihm auch das zu gefallen. Nachdem er sich erhoben hatte, reichte er mir die Hand, um mir aufzuhelfen.
Ich wünschte, jemand könnte mir erklären, worauf die sexuelle Anziehungskraft beruht. Wie kommt es, daß du zwei gleich gutaussehende Männer nebeneinander stehen siehst, und der eine törnt dich an und der andere nicht? Hier stand ich allein im Wald mit einem Traummann, der über meine Witze herzhaft lachte und mir deutlich zu verstehen gab, daß er mich sehr gut leiden konnte. Doch ich empfand ihm gegenüber nur schwesterliche Gefühle. Sicher, er war verheiratet, und seine Frau hatte ihm gerade zwei Kinder geschenkt. Aber Sex-Appeal kümmert sich doch nicht darum, ob einer der Partner verheiratet ist oder nicht. Andererseits bedachte Mike Taggert mich nur mit bösen Blicken oder wilden Anschnauzern. Er haßte mich, und ich haßte ihn. Trotzdem konnte ich es oft nicht vermeiden, mich zu fragen, ob er am ganzen Körper so herrlich goldbraun oder ob sein Bauch blütenweiß war.
Arm in Arm wanderten wir zurück ins Lager, und Mike erzählte mir, wie sehr seine Frau meine Bücher liebe. Als Sandys Lagerfeuer in Sicht kam, ließen wir einander los, und ich blieb zurück. Ich wollte aus der Ferne sehen, wie er sich als Kane ausgab und dabei lächerlich machte.
Es ist schwer, meine Gefühle zu beschreiben, als ich Zeuge wurde, wie diese Leute Mike nichtsahnend für Kane hielten. Sandy brummte, er sei zu lange im Wald geblieben und habe ihm nicht geholfen. Mike blinzelte mir verschwörerisch zu. Beinahe hätte ich losgekichert. Es war himmlisch, einmal diejenige zu sein, die gern gemocht wird!
Alles ging glatt. Die beiden Männer sattelten die Pferde und bereiteten alles zum Aufbruch vor. Mike kam zu mir, prüfte den Sitz des Steigbügels - er war gut - und fragte mich, wie es zu der Brandwunde am Hals von Ruths Pferd gekommen sei. Ich hätte es ihm gern gesagt, tat es aber nicht. Ich dachte an die Jahre in der Grundschule zurück, wo wir als Kinder »Petze, Petze! ärgert sich« gesungen hatten, und hielt den Mund. Ich gab vor, keine Ahnung zu haben, wurde aber rot dabei, und Mike gab einen Grunzlaut von sich. »Im Lügen mußt du noch Unterricht nehmen«, sagte er.
Es war schön, zur Abwechslung einmal in Schutz genommen zu werden.
Wir
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