Was mit Rose geschah
denke ich. Dieses ganze aufwendige Theater kann nicht ihr Werk sein.
»Und wie hat Sandra reagiert? Sie kennt ihn doch gut, oder?«
»Ich denke schon. Sie war wütend. Empört. Wegen Christo.«
»Was ist mit Ihrem Bruder?«
»Ich habe ihn nicht gesehen. Es geht ihm nicht gut.«
»Verstehe. Das alles muss ihn schwer getroffen haben.«
»Wahrscheinlich.«
»Können Sie sich erinnern, wie der Brief unterschrieben war?«
»Ich kann mich an alles erinnern. Darunter stand: ›Viele Küsse und Umarmungen. P S Es tut mir leid‹.«
»Vielen Dank. Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mir davon erzählt haben.«
»Schon gut. Haben Sie noch etwas herausgefunden?«
»Nein. Nichts Neues.«
»Oh.« Sie seufzt.
»Vielen Dank, dass Sie meine Fragen beantwortet haben, Lulu.«
»Schon in Ordnung.« Pause. »Suchen Sie weiter nach ihm?«
»Nach Ivo? Ja.«
»Bis dann.«
Sie hängt ein, bevor ich noch etwas sagen kann.
In diesem Moment dreht sich Andrea um und lächelt, als sie meinen Blick bemerkt. Sie ist in letzter Zeit so fröhlich, das kann nicht nur an der bescheidenen Gehaltserhöhung liegen. Vielleicht ist sie verliebt. Vielleicht ist jemand in sie verliebt. Ich habe nie danach gefragt.
Vielleicht bin ich immer viel zu zurückhaltend gewesen.
54
JJ
Heute dürfen wir mit Christo in den Zoo. Es scheint ihm wirklich gut zu gehen. Sie wissen immer noch nicht, was er hat, haben aber mit Übungen angefangen, damit er kräftiger wird. Er übt Gehen in einer Turnhalle, in der es viele Spezialgeräte gibt. Er hat eine Krankenschwester aus Israel, die Rahel heißt und mit ihm übt. Christo liebt sie, weil er danach immer einen Lutscher bekommt. Aber sie ist auch so echt nett. Sie hält uns für Brüder. Und Mama für seine Mutter. Wir haben aufgehört, darüber zu reden.
Das Krankenhaus besorgt ein Taxi, das uns zum Zoo fährt, obwohl er nicht so weit entfernt ist – mitten in London. Überall sind Bäume, und es gibt einen Hügel, und ein Kanal führt einmal um den Zoo herum wie ein Graben bei einer Burg. Ich nehme an, das haben sie gemacht, damit die Tiere nicht weglaufen. Die Sonne scheint. Christo hat richtig gute Laune; er lacht über die Giraffen und die Pinguine und ist fasziniert von den Schlangen, aber am liebsten mag er die Affen. Ich mag sie auch. Sogar Mama, die vorher gejammert hat und Angst hatte, dass er von den Tieren Krankheiten bekommt, scheint Spaß zu haben. Das Krankenhaus hat uns einen Rollstuhl mitgegeben, obwohl sie sagen, es sei besser, wenn er ein bisschen läuft, damit er sich daran gewöhnt. Er ist noch zu schwach, um richtig zu laufen, aber sie sagen, durch die Übungen würde er kräftiger. Es ist schön, das zu hören. Es geht ihm bald besser! Das haben sie wirklich gesagt. Fürs Erste aber ist es mit dem Rollstuhl viel einfacher. Wir essen Eis und trinken Tee und setzen uns zu den anderen Familien indie Sonne. Überall laufen Kinder herum, die Spaß haben, und einige Eltern lächeln uns oder Christo zu, als sie sehen, dass er krank ist. Das ist nett. Ich denke kaum noch an Ivo.
Der Zoo ist viel interessanter, als ich gedacht hatte. Wir verbringen den ganzen Tag dort und gehen nur, weil Christo um vier wieder im Krankenhaus sein muss. Danach müssen wir noch nach Hause fahren. Komische Vorstellung, dass wir nicht mehr lange dort wohnen werden. Lulu hat geholfen, ein Haus für uns zu finden. Anscheinend hat sie eins zur Miete gefunden, das bei ihr in der Nähe liegt, dann sind wir auch nicht so weit vom Krankenhaus entfernt. Und es gibt eine Schule für mich. Ich dachte, das alles würde so schwierig, aber jetzt ist es ganz leicht. Ich kann mir sogar vorstellen, in einem Haus zu wohnen, ohne in Panik zu geraten. Ich frage mich, ob mich jemand aus der Schule vermissen wird – Stella oder Katie. Ich wette, das werden sie nicht. Stella vielleicht, ein bisschen. Oder auch nicht.
Wir fahren die A3 entlang. Die Sonne steht tief und scheint durch die Windschutzscheibe, das Licht flimmert durch die Bäume. Das Fenster ist mit zerquetschten Insekten verschmiert, so dass man gar nicht richtig rausschauen kann. Die Fahrt dauert Stunden – und ich habe solchen Hunger, wodurch sie mir noch länger vorkommt. Ich versuche mich zu erinnern, was wir noch im Kühlschrank haben, und frage mich, ob Mamas Laune gut genug ist, um etwas zum Mitnehmen zu kaufen. Am Rand des Dorfes gibt es einen Chinesen, das ist eigentlich kein Umweg. Ich zähle ihr die Vorteile auf – sie muss nicht kochen, nicht
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