Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
Vom Netzwerk:
Klauen.
    Lulu scheint sich unbehaglich zu fühlen, wirkt unsicher. Ein paarmal hat sie fast gestottert. Mir kommt der Gedanke, dass ich zum ersten Mal nicht automatisch unterlegen bin, dass sie mir ausnahmsweise nicht mit Trotz, Misstrauen oder Zorn begegnet.
    »Das alles tut mir furchtbar leid. Meine Familie macht mich verrückt, aber es sind keine bösen Menschen. Sie würden Ihnen nicht absichtlich Schaden zufügen. Ivo … ich weiß, er wirkt nicht immer sehr … höflich, aber, wissen Sie, er liebt den Jungen von ganzem Herzen. Er ist so dankbar für alles, was Sie für ihn getan haben, mit dem Spezialisten und so.«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Schließlich habe ich ihn gar nicht beschuldigt.
    Dann frage ich mich, woher sie weiß, dass er mir dankbar ist, wenn sie ihm gar nicht begegnet ist.
    Sie deutet mit dem Kopf zur Zimmertür. »Sie sagen, Sie werden wieder gesund. Ich hoffe, dass Sie sich schnell erholen.«
    »Danke. Sie sollten Ivo allerdings Bescheid geben … falls er es noch nicht weiß. Es ist gefährlich.«
    »Ja, ja, das werde ich.«
    Ich habe immer noch das Gefühl, dass mir etwas Wichtiges nicht einfällt. Etwas, das mit ihr zu tun hat.
    Nur komme ich beim besten Willen nicht darauf, was es ist.
    Lulu weicht meinem Blick aus und schaut in die Ferne, kaut auf ihrer Lippe, wodurch das grelle Rot ihres Lippenstifts zu einem verschwommenen wunden Ton verblasst. Eine dunkle Strähne ist aus ihrer Haarspange gerutscht und fällt ihr in einem geschwungenen Bogen ins Gesicht: ein langgestrecktes S, chinesischen Ästheten zufolge die schönste Linie der Welt – Hüfte und Taille einer Frau, die auf der Seite liegt …
    Oh, my girl, you don’t know. You don’t know what you do to me.
    »Ich habe etwas gefunden«, sage ich tollkühn, weil ich Angst habe, sie könnte gehen. Ich merke, dass ihre Aufmerksamkeit nachlässt, ich will sie zurück. »Ich wollte es Tene sagen, hatte aber keine Gelegenheit …«
    Ich versuche meine rechte Hand zu bewegen, aber es geht nicht. Sie ist immer noch totes Fleisch.
    »Wegen Rose … wegen …«
    Ein ängstlicher Ausdruck tritt in ihr Gesicht, und sie beugt sich zu mir. Dann plötzlich spüre ich tausend elektrische Schläge, als ihre Hand sich auf meine legt. Auf meine taube rechte Hand mit dem Plastikarmband, die wie ein totes Kaninchen auf der Decke ruht. Vollkommen leblos. Sie hält meine Hand. Na ja, nicht richtig, aber sie berührt sie, definitiv – das sehe ich aus dem Augenwinkel. Typisch. Sie berührt mich, wo ich gelähmt bin – vielleicht gerade deshalb. Und ich denke: Natürlich, so mag sie die Männer. Ich spüre nichts. Gar nichts. Obwohl ich es mir einbilde.
    Ich bilde mir alles ein.
    »Was ist los?«
    Mir wird klar, dass ich nicht weiß, ob ich es ihr schon gesagt habe. Oder war da noch etwas anderes?
    »Sie haben mir von den … Knochen erzählt, die man gefunden hat. Geht es darum?«
    Ich setze an, etwas zu sagen. Die menschlichen Überreste … ja. Aber da war noch mehr, ganz sicher, doch der Gedanke zerrinnt in meinem Kopf, bevor er sich vollends geformt hat. Vielleicht beugt sie sich vor, wenn ich flüstere; legt ihr Ohr ganz nah an meine Lippen. Vielleicht kann ich einen Hauch von Zigaretten und Parfüm erhaschen.
    In diesem Augenblick scheint sie zu bemerken, dass ich unsere Hände ansehe, und obwohl ich versuche, nicht zu reagieren, nimmt sie ihre Hand weg, taucht sie in die riesige Handtasche und wühlt in deren dunklen Tiefen. Nach was? Der Antwort? Sie zieht ihre Hand leer wieder heraus.
    »Sie sehen müde aus. Ich sollte jetzt besser gehen.« (Nein! Nein! Das solltest du nicht!) »Ich muss sowieso los. Zur Arbeit.«
    Zu ihm. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht.
    Das Gefühl der Vertrautheit löst sich in Luft auf.
    »Arbeit. Natürlich.«
    Sie steht auf, schaut mich argwöhnisch an, obwohl ich es ganz neutral gesagt habe. Dann bleibt sie aber noch einen langen Augenblick am Bett stehen und will etwas sagen.
    »Ray … ach, ich hoffe, es geht Ihnen bald besser. Wir sehen uns. Okay?«
    Sie geht hinaus, ihre Absätze klappern im Sekundentakt den Linoleumkorridor hinunter. Das Geräusch verklingt, und die Zeit kehrt zurück zum üblichen Krankenhaustrott.
    In den langen Stunden nach ihrem Besuch habe ich Muße, um über alles nachzudenken. Was wollte sie am Ende sagen, bevor sie es sich anders überlegt hat? Warum hat sie mich zweimal besucht? Um nachzusehen, ob ich überlebt habe und sie ihren Verwandten berichten kann, dass sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher