Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
verwendet und damit zu seiner Abnutzung beigetragen. Wie schon die Eagles in einer alten Ballade sangen: »You call some place paradise – kiss it goodbye«. Um einen allergischen Schock zu vermeiden, sollte es der Tourismus- und Medienbranche untersagt sein, den P-Begriff im Zusammenhang mit Neuseeland (wahlweise Südsee) zu erwähnen. Besonders in der Koppelung mit ›klein‹ oder ›grün‹. Schon mal irgendwo von einem ›großen braunen Paradies‹ gehört? Na also. Ich schwöre: Wenn ich es noch mal lese, gründe ich den Verein ›Klischeefreiheit für Aotearoa‹. Wenn daraus mal nicht eine militante Splittergruppe wird. Tod der Verniedlichung. Hallo, RAF .
»Jedes Jahr findet die südlichste Single-Party der Welt auf Stewart Island statt«, schreibe ich der Dame zurück. »Das ist die Insel ganz tief im Süden, der letzte Außenposten vor der Antarktis. Dort kann man auch Kiwis (also die Vögel) nachts in freier Wildbahn beobachten. Wäre das was für Ihre Serie? PS : Neuseeland ist ungefähr doppelt so groß wie England.«
Wir werden uns schnell einig. Das Honorar klingt in diesen Krisenzeiten astronomisch. Außerdem war ich noch nie auf einer Insel so tief im kalten Süden. Und Claude hat versprochen, dass sie mitkommt. Sie will fotografieren – Vögel für sich, Singles für mich.
Am Samstagmittag sitzen wir neben Dana, Barbette und Suzy im Flughafen von Invercargill. Die Stadt ist bis heute dafür berühmt, dass die Rolling Stones sie 1965 als ›Arschloch der Welt‹ bezeichneten. Die Band wurde bei ihrem Auftritt ausgebuht und mit halb gegessenen Pies beworfen.
Der Flughafen ist so klein, dass man in drei Schritten von der Wartehalle aufs Rollfeld tritt. Dana, Barbette und Suzy sind Melkerin, Verkäuferin und arbeitslos, keine zwanzig und noch zu haben. Ihr Gepäck besteht aus einer großen Plastiktüte. Etwas Schwarzes mit Acrylspitze lugt daraus hervor.
»Mein Abendkleid«, sagt Dana. »Hab ich mir eben noch besorgt. Nur 39 Dollar bei Tippsy’s, super, was?«
Ihre Freundinnen gackern.
»Mal sehen, wie lange du den Fummel anbehältst!«
Claude lässt sich nichts anmerken. Sie hantiert mit ihrem iPod. Vielleicht fährt sie gerade ein Hermann-Hesse-Hörbuch hoch. Ich bin gespannt, wie lange sie die unbeteiligte Fassade aufrecht hält. Ein Provinzbesäufnis für notgeile Heteros rangiert auf ihrer Skala sicher noch tiefer als das Wildfoods Festival in Hokitika.
Die Vorfreude der Mädchen ist nicht zu übersehen. Sie scheinen wild entschlossen, ihre womöglich noch vorhandene Unschuld bei der subantarktischen Sammelstelle für einsame Herzen loszuwerden. Das Nachtleben in Invercargill kann nicht allzu spannend sein. Das letzte Mal war das Farmerstädtchen in den Nachrichten, als der 112 Jahre alte Henry, ein Tuatara und damit eines der ältesten Reptilien der Welt, im Southland Museum zum ersten Mal Vater wurde. Seit 1972 hatten Tierpfleger ihn zur Paarung animiert, aber nichts passierte, obwohl man ihm die 20-jährige Juliet unterschob. Erst Mildred, ein 70- bis 80-jähriges, gebärfreudiges Tuataraweibchen, konnte Old Henry rumkriegen.
Mein Magen hüpft auf dem kurzen Flug in der Achtsitzermaschine nach Stewart Island. Aber die Anreise mit dem Schiff würde bei wilder See viele Stunden dauern und meinen Gleichgewichtssinn noch mehr belasten. Die Foveaux Strait ist ein berüchtigter Wasserweg, den schon Walfänger vor zweihundert Jahren zu fürchten wussten. Viele verzichteten damals lieber auf die Heimreise und blieben bei den Ureinwohnern von Rakiura hängen – so heißt Stewart Island korrekt. Claude weiß das alles.
»Darum sind so viele der Maori hier blond und blauäugig«, sagt sie. Das Ruckeln in der Luft erträgt sie mit stoischer Ruhe.
Der Stamm der Rakiura ist bis heute der einzige, der auf den umliegenden unbewohnten Inseln die Küken der Muttonbirds jagen darf. Das sind Sturmtaucher, die sich dort jedes Jahr millionenfach zum Brüten einfinden. Claude zeigt aus dem Fenster. Noch mehr Heimatkunde.
»Wusstest du, dass auf Codfish Island der berühmteste Kakapo der Welt lebt?« Sie schaut durch ihre Kamera und richtet das Objektiv aufs Wasser tief unter uns. »Er heißt Sirocco.«
»Ich hab ihn schon auf YouTube gesehen.«
Sirocco ist ein Papagei und wurde von Hand aufgezogen. Als ihn der britische Schauspieler Stephen Fry für eine Dokumentation filmen wollte, sprang der Vogel Frys Kollegen in den Nacken und versuchte, sich dort zu paaren. Seit der Vergewaltigung von
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