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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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hinten hat er über dreitausend Fans bei Facebook. Was ich sonst noch von dem Grenzgebiet an der Schwelle zum Polarmeer weiß, ist nicht viel, aber so viel steht fest: Alles dreht sich dort um Vögel.
    Gerade mal vierhundert Leute leben in Oban, dem einzigen Ort von Stewart Island. Rund ein Fünftel davon sind männliche Singles, vor allem Fischer und Handwerker. Männer von der Sorte, die sich nach der Arbeit das Gewehr schnappen, um schnell was fürs Abendbrot zu schießen. Jetzt sitzen sie in der Nachmittagssonne vor dem South Sea Hotel, das gleichzeitig als Kneipe fungiert, und prosten der weiblichen Fracht vom Festland zu. Mit der Morgenmaschine sind bereits Grüppchen von amüsierfreudigen Frauen angereist und haben sich auf die Bed & Breakfasts verteilt.
    »Dort laufen jetzt die Lockenstäbe heiß«, lästert Claude. »Von Vibratoren hätten sie sicher mehr.«
    Sie trägt wie immer hautenges Schwarz, dazu Motorradstiefel und eine Ohrenklappenmütze aus Filz. Die Männer vor dem Hotel mustern sie unentschlossen bis irritiert. Auf den ersten Blick könnte man sie für einen schlaksigen Jungen halten. Auf den zweiten Blick wird klar, dass sich hier jemand todesmutig in Feindesland begeben hat.
    Dana, Barbette und Suzy quartieren sich in ein Backpacker-Hostel ein. Der frühere Besitzer der Rucksackherberge war berüchtigt dafür, dass er alleinreisenden Frauen nachstellte. Mit diesem Ruf schaffte er es sogar in eine Ausgabe des Lonely Planet.
    »Ich schätze, hier ist es ziemlich einsam im Winter«, sage ich zu Claude. Wir sitzen in der guten Stube des Hostels: ausgeleierte Sofas, Resopaltische, ein Fernseher. Ein schüchtern aussehender Mann nickt uns aus dem Sessel zu.
    »Genau, viel zu wenig Mädels!« Ein schiefes Lächeln. Er stellt sich etwas unsicher vor. Gary ist der ehemalige Müllmann der Insel und seit zwei Jahren ohne Freundin. Jetzt hockt er im Hostel, Wodka-Orangensaft vor sich in der Kaffeetasse, und hofft auf den großen Abend. Warmtrinken für später.
    »And, how do you like New Zealand?«, fragt er mich. Mein Akzent hat mich auch hier verraten. Im Rumpelwohnzimmer wird es lauter. Dana, Barbette und Suzy gesellen sich zu uns. Dass Gary recht einsilbig ist und Vokuhila trägt, scheint die Frauen nicht zu stören.
    »Wir wollen heute nur ein wenig Spaß haben, oder, girls?«, sagt Dana.
    Sie lacht den anderen zu und schenkt sich aus Garys Wodkaflasche ein. Der Resopalstuhl wackelt gefährlich unter ihr. Noch knapp zwei Stunden bis zum Ballanpfiff.
    Claude geht ins Motel, um ein wenig zu lesen. Zum Fotografieren ist es bereits zu dunkel. Mit den Frauen aus Invercargill schlendere ich durchs Zentrum von Oban, das aus zwei Straßenecken besteht. Gary trabt mit. Wenn die Zeit in Neuseeland um zwanzig Jahre zurückgedreht wurde, dann ist der Zeiger in diesem Ort noch mal so lange stehen geblieben. Oban ist charmant und überschaubar: ein kleiner Supermarkt, ein paar Cafés und eine Pizzeria, die auch als Kino fungiert. Gerade mal 22 Kilometer an befahrbarer Straße hat die Insel zu bieten. Wenn es tagelang geregnet hat, was hier oft geschieht, ist sie schnell von einem Erdrutsch verschüttet. Historische Holzhäuser am Hügel mit Hafenblick verströmen kolonialen Charme und erinnern mich ein wenig an Lyttelton. Dazwischen quillt die Natur hervor: üppig, saftig, ungezügelt. Keine Gartenzäune weit und breit.
    Gary zeigt auf die Straßenkreuzung. Plötzlich taut er auf.
    »Hier stand mal eine neue Verkehrsinsel«, sagt er zu den Frauen. »Keiner wollte sie. Alle sind drübergefahren. Drei Tage lang, dann hab ich sie mit einer Kette an meinen Pick-up-Truck gebunden.«
    Barbette ist beeindruckt.
    »Du hast sie … entfernt?«
    »Hab sie ins Hafenbecken geschmissen.« Er zeigt aufs Wasser. Ein Anflug von Stolz breitet sich über sein notdürftig rasiertes Gesicht aus. »Da liegt sie noch. Hey, girls, das war vielleicht ein Spaß!«
    Die Mädchen hängen an Garys Lippen. Er wird gesprächig und erzählt mir vom deutschen Ranger, den sie hier mal hatten. Der wollte das Altöl von seinem Jeep unbedingt ökologisch korrekt entsorgen.
    »Ich hab ihm gesagt: ›Buddel einfach ein Loch hinter deinem Haus.‹ Er dachte, dass das Öl aufs Festland muss. Ich zu ihm: ›Da buddeln sie auch nur ein Loch.‹«
    Er lacht in sich hinein. Die Mädchen haken ihn unter und ziehen mit ihm in Richtung South Seas Hotel davon. Noch eine Stunde bis zum Ball. Die kühle Luft riecht nach Tang und Fischernetzen. Nach einer Weile

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