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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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spannend wie der Spinat im Garten – haben damit wohl für immer ausgedient.
    Jakob führt Millie an einer Leine zum Vorzeigen auf die Skateboardrampe. Otto schleppt sie in Anlehnung an Astrid Lindgren sogar mit in die Schule. Großes Hallo, alle wollen mal streicheln. Viele Fotos werden geknipst. Bilanz nach einer Woche: Das Lämmchen ist noch immer süß, aber die Pinkelei nicht mehr ganz so. Nach zwei Wochen stellen wir fest, dass die Fertigmilch Zaubertrankwirkung hat. Das Lamm wächst rasant, die Pfützen werden größer, und die Pisse stinkt. Ob sich der Dielenboden jemals von den Säureattacken erholt, ist fraglich. Es werden immer weniger Fotos geschossen. In der dritten Millie-Woche fällt die Entscheidung. Zögerfrei.
    »Ein Schaf lebt draußen«, erklärt Lukas den Kindern. »Wofür haben wir einen Garten?«
    Aber erklär das mal dem Schaf. Millie hat uns die Abschiebung nicht verziehen. Das verstoßene Wesen versucht es jetzt mit Hamas-Taktik: Terror aus allen Rohren. Denn Schafe sind gar nicht so dumm, wie sie aussehen. Millies erster Angriff besteht aus akustischer Folter. Frühmorgens um fünf beginnt das Blöken – zäh, penetrant, beleidigt. Ich trete verschlafen mit der Flasche vor die Tür, Millie schießt herbei und schnappt nach dem Sauger. Zumindest ist für ein paar Stunden Ruhe, aber einschlafen kann ich nicht mehr. Ich bin jetzt Zoowärterin im Schichtbetrieb. Judy und Nick von nebenan ertragen den Lärm geduldig. Fragt sich, wie lange.
    »Ihr müsst sie abstillen«, raten sie. Kiwis kennen sich mit Nutztieren aus. Also rationieren wir die Milch. Millie steigt auf feste Nahrung um. Das heißt, dass sie alles anknabbert, was im Garten wächst: frische Salatpflanzen, Narzissen, Zitronenblüten, Brokkoli. Was sie nicht frisst, zertrampelt sie. Es wird ein ertragsarmes Jahr für uns.
    Schlimmer als die Zerstörung wiegt Millies Verdauung. Vor der Haustür, am liebsten auf der Fußmatte, liegen ständig frisch gemachte Haufen, die an eingeweichte Rosinen erinnern. Steht die Tür einen Moment zu lange offen, drängt das Vieh sich in den Flur, wetzt ins Wohnzimmer und pladdert innerhalb von Sekunden aufs Holz. Manchmal auch unter meinen Schreibtisch. Das müssen die frühen Kindheitserinnerungen sein. Eine geballte Ladung an Wut, Heimtücke und List kommt in der Urinattacke zum Ausdruck. Es ist nicht mehr süß. Es ist ziemlich säuerlich. Und Lukas hat als Urologe mehr als genug von gelbem Saft. Meine Einstellung zur heimischen Tierwelt ändert sich rasant. Neuseeland hat viermal so viele Schafe wie Einwohner? Schreckliche Vorstellung. Was die alles anrichten können.
    Wir zählen die Tage. Dann kommt endlich das Wochenende, an dem Millie offiziell für alt genug erklärt wird, um auf »ihren Bauernhof« zurückzukehren. Das ist unser kinderfreundlicher Euphemismus für ihre bevorstehende Exekution. Denn für ein langes Leben auf der Weide, hat uns der Bauer gesagt, sei Millie »viel zu domestiziert«. In anderen Worten: Wir haben sie verzogen.
    Pro Schaf, das der Bauer in die Schlachterei schickt, bekommt er achtzig Dollar. So viel hat uns die gute Millie allein an Wischlappen und zerstörtem Gemüse gekostet. Schon wirtschaftlich taugen wir nicht für ›Unsere kleine Farm‹, vom psychosozialen Aspekt ganz zu schweigen.
    Der Abschied von Millie fällt mir ausgesprochen leicht. Als sie mit meckerndem »Määääh« aus unserem Kofferraum springt, macht sich nur Erleichterung breit. Und der Geruch nach frischem Schafurin im Heck. Das ist Millies Abschiedsgeschenk, damit wir sie nicht zu schnell vergessen, das kleine Biest. Aber Otto vermisst sie. Traumatische Erinnerungen verblassen in seinem Alter offenbar schnell.
    Nachbar Nick rät uns zu Lamas.
    »Kann man prima im Garten halten. Die spucken auch fast nie.«
    Keine Chance. Was sich nicht mit Rosmarin und Knoblauch verträgt, kommt mir nicht ins Haus. Auch wenn mich Streichelzoobesucher dafür hassen, behaupte ich aus leidvoller Erfahrung: Nur ein geschmortes Schaf ist ein gutes Schaf. Hammelhoden kann ich wärmstens empfehlen.
                
    Eva fliegt im September nach Deutschland. Der erste Heimatbesuch nach drei Jahren. Ihr Bruder heiratet, und sie braucht Abstand von Christchurch und allem Ärger. Sie will die Scheidung vorbereiten. Die letzte Schlacht hat das Team Olewski gewonnen. Jörg bleibt im Toscana-Haus, Eva wird ausziehen. Seine importierten Teigmaschinen hat er mit Gewinn im Internet versteigert (›German

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