Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
ins Handy und ziehe die Bordkarte aus der Tasche, da stürzt Eva auf mich zu. Sie ist noch bleicher als gestern Nacht in meinem Traum. Stumm hält sie mir die heutige Ausgabe der ›Press‹ hin. Ihre Hand zittert.
Auf dem Aufmacherfoto von Christchurchs Lokalzeitung ist der verkohlte Eingang von Jägi’s Bakery zu sehen. Genauer, von ›Jägi’s B‹, denn der Rest des Schildes ist verrußt. Ein zweites Foto zeigt den Bäckermeister, der noch verspannter ausschaut als sonst, in seiner Backstube. Diesmal hat er wirklich Grund für die miese Laune. Die Mehlsäcke sind geplatzt, die Brote im Metallregal zu Briketts verschmort. Hinter ihm ragt der Rest der frisch gezimmerten Ladentheke ins Bild, eine Ruine aus Holz und Asche. ›Deutsche Bäckerei abgebrannt‹, prangt als Schlagzeile über dem Foto.
Ich traue mich kaum, Eva anzuschauen. Vorsichtig lege ich einen Arm um sie. Sie zittert immer noch. Selbst ihre Sommersprossen sind blass. Ihre Stimme ist dünn wie Papier.
»Egal, was da steht – das war Brandstiftung.«
Wir fliegen über die Cook Strait, die die Nord- von der Südinsel trennt. Grüne Perlen, ins Meer getupft und weiß umsäumt: die unzähligen kleinen Inseln der Marlborough Sounds. Eine Fähre auf der Fahrt nach Picton treibt auf dem Wasser wie ein Klecks Sahne. Etwas Schwarzes könnte ein Pottwal sein, aber dafür sind wir eigentlich zu hoch oben. Dann die ersten Berge. Mount Lyford. Hanmer Springs, der kleine Luftkurort mit den heißen Quellen. Reste von Schnee auf den Gipfeln. Irgendwo dort war ich vor einem Monat noch Ski fahren. Ein See, Weiden und Äcker, die Küste. Und wieder Berge, Meer, Berge.
»So ein schönes Land … meistens«, sagt Eva mit belegter Stimme. Sie schaut aus dem Fenster. Seit wir in der Luft sind, hat sie sich etwas beruhigt. Ich will sie nicht ausquetschen, wer ihren Mann so sehr hasst, dass er ihm den Laden abfackelt. Baxter hat uns genug erzählt. Von wütenden Nachbarn, verprellten Lieferanten, gefeuerten Angestellten. Der Großkotz aus Berlin hat sich alle zum Feind gemacht. Unter anderem, weil er ständig raushängen lässt, dass er den Durchblick hat, während die Kiwis totale Nichtswisser sind. Das ist nicht nur verletzend, sondern steht im krassen Widerspruch zur hiesigen Mentalität. ›Keeping a low profile‹ heißt die Devise für In- wie Ausländer: den Ball schön flach halten.
»Warum ist Jörg nicht lieber in ein Land gezogen, wo man ungeniert auf dicke Hose machen kann?«, frage ich. »Amerika wäre ihm vielleicht besser bekommen.«
Eva fängt an zu erzählen. Vom Maschinenbaustudenten aus Ostberlin, der einundzwanzig wurde, als die Mauer fiel. Seine Patentante im Westen schenkte ihm zum Geburtstag ein Flugticket, egal wohin. Jörg suchte sich das Land mit der größten Entfernung aus. Hauptsache, raus aus dem DDR -Mief. Das Erlebnisdefizit wettmachen. Als er in Auckland landete, hielt sich der Kulturschock auf den ersten Blick in Grenzen. Neuseeland hatte seine eigene Version des Sozialismus noch nicht lange hinter sich. Es gab nur eine einzige Kühlschrankmarke, keine dicken Geländewagen, kaum Kriminalität, und alle paar Monate traf in den Läden ein Container mit Schuhen ein, die in Europa längst als altmodisch galten. Die Häuser waren klein, Lohn und Gehälter gleich. Materielles zählte kaum. Man half sich untereinander und wusste bei technischen Problemen zu improvisieren, denn die nächste Lieferung mit Ersatzteilen aus dem Ausland konnte lange dauern. Mit ihrer Bescheidenheit und ihrem Gemeinschaftssinn – ganz zu schweigen von all den verstaatlichten Einrichtungen – erinnerten ihn die konfliktscheuen Kiwis an die Ossis. Nur dass sie so viel freundlicher waren. Herzlich, niemals misstrauisch. Und ihn wie eine Kreuzung aus Marsmensch und Rockstar behandelten: der Junge, der über die Mauer kam. ›I’ve been looking for freedom.‹ Er blühte auf.
Jörg trampte in einem Viehtransporter nach Golden Bay. Dort hatten sich in den Jahren zuvor die ersten Wessis niedergelassen, nachdem Neuseeland sich als atomfrei erklärt hatte – Zivilisationsflüchtlinge, die der BRD nach Radikalenerlass und Tschernobyl den Rücken kehrten und ein grünes Utopia suchten. Sie meditierten, bauten Schwitzhütten, unterrichteten ihre Kinder zu Hause. In einer Landkommune von ehemaligen Startbahn-West-Gegnern verguckte Jörg sich in eine junge Schweizerin und buk mit ihr sein erstes Brot. Er schwor sich: Eines Tages kommst du wieder, um an diesem Ort zu
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