Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
sitze als Erste von allen wieder im Bus. Vivien muss noch immer fotografieren. Und Angie lässt mich nicht in Ruhe.
»Ich bin ein Plastikmaori«, sagt sie, als sie einsteigt. »Und du?« Sie boxt mich leicht und lacht. »Du bist eine Plastikdeutsche!«
Einer der Samoaner setzt sich hinter uns, zieht seine Kapuzenjacke aus und summt eine Melodie. Shane hat seine Gitarre herausgeholt und zupft einen Akkord dazu. ›Brown Eyed Girl‹, singen die beiden Männer, während das letzte Grün von Northland vorbeizieht, »sha-lala-lala, my brown eyed girl«. Angie und Vivien kichern und stecken die Köpfe über ihren Digitalkameras zusammen.
»Was habt ihr denn da?«, frage ich. Langsam fühlt sich mein Kopf wieder normal an.
Angie zeigt mir einen Vogel – nicht mit dem Finger, sondern auf dem Display ihrer Kamera. Er ist weiß und staksig wie ein Storch, aber mit einem langen Entenschnabel, der mich an Lakritze erinnert. Ein Fächer sprießt aus dem Kopf.
»Das ist der Löffler. Sieht doch urkomisch aus, oder?« Sie klickt weiter.
»Hier, ich war auf der Vogelstation in Whangarei. Das ist Woof Woof, der sprechende Tui. Er hat zehn verschiedene Sätze drauf.«
»›Woof, woof‹ zum Beispiel?«, rate ich.
»Das auch. Und er fragt dich, ob du erkältet bist.« Sie lacht. »Der beste ist: ›Ich geh mal die Straße runter und hole mir eine Packung Kippen.‹ Du kannst dich mit Woof Woof richtig unterhalten.«
Vivien mischt sich ein.
»Also, Woodpigeons sind dumm, die fliegen überall gegen.« Sie meint die Maori-Fruchttauben. »Keas haben eindeutig den meisten Humor.« Es klingt, als ob die beiden Boygroups vergleichen. »Mir hat mal ein Kea am Arthurs Pass meinen Beauty Case aus dem offenen Kofferraum geklaut und irgendwo im Schnee fallen lassen.«
Fachfrau Angie knipst die Kamera aus und zieht ihren iPod hervor.
»Ihr müsst unbedingt bei der Wahl des ›Bird of the Year‹ mitmachen. Läuft noch einen Monat online, und es sind viele Prominente dabei.«
»Was, prominente Vögel?«, fragt Eva.
Angie lacht und steckt sich die Ohrstöpsel in die Ohren.
»Nein, Promis wie Kim Hill, die Radiomoderatorin, oder der Dichter Sam Hunt. Der will, dass der Poaka gewinnt.« Keine Ahnung, welches Geflügel das genau ist. Ich kann kaum Meisen von Spatzen unterscheiden.
Der Happy Van biegt ab in Richtung Auckland Airport. Ein Flugzeug braust im Tiefflug heran, bereit zum Landen. Ich drücke meine Stirn an die Scheibe und nehme mir vor, dass ich eine Reise nach Tschechien mit Jakob mache.
›Hallöchen Frau Kollegin‹, lese ich im Internetcafé. ›Habe endlich meinen Urlaub eingereicht und komme nun vor Weihnachten in Ihr kleines Traumland. Kann dringend ein bisschen Erholung gebrauchen nach all dem Ärger mit den linken Spinnern von kreischblog (Unterlassungsklage läuft, die Interna erspare ich Ihnen, aber bitte merken: Ich wurde niemals gefeuert). Außerdem recherchiere ich zu einem Buch und brauche dazu ein paar Infos aus Ihrer Region. Danach hänge ich noch Sydney dran. Hoffentlich ist die Regenzeit dann vorbei? Gruß aus dem kalten Berlin, D. Sägel.‹
Der Flug nach Christchurch hat Verspätung. Ich klicke auf die nächste E-Mail. Sie ist von Haki Waiomio.
›Kia ora tatou,
ich hoffe, Ihr seid alle gut zurückgekommen. Danke für Deine Teilnahme. Als Kursleiter möchte ich Euch um ein Feedback bitten. Das ist wichtig für das nächste Funding, um den kontinuierlichen bikulturellen Bewusstseinsprozess zu dokumentieren. Könntest Du mir bitte in ein paar kurzen Sätzen erläutern, was ›nationale Identität‹ und ›Herkunft‹ für Dich bedeuten? Danke.
Unser Marae ist übrigens in der Endrunde von ›Marae – the total Make-over‹ auf Maori TV . Drückt uns die Daumen. Wir können 20 000 Dollar Renovierungskosten bei der Show gewinnen (wir brauchen dringend einen Gasgrill mit Turbodoppelbrenner).
Ka kite ano,
Haki Waiomio
Berg und Tal kommen nicht zusammen, aber die Menschen.‹
Unser Flug wird aufgerufen. Ich logge mich aus, bezahle und verlasse das Internetcafé. Der Flughafen erschlägt mich nach der Woche unter Wilden. Zu viele Leute und Geschäfte, zu viel Technik, Chrom, Geld, Lärm. Schon sehne ich mich nach Reh- und Jäger-Spielen, nach Erdofen und Piniennadeln, Liedern und Lagerfeuer. Aber am meisten sehne ich mich nach meiner Kleinfamilie. Angeblich wartet eine Überraschung namens Millie auf mich. Mehr verraten Jakob und Otto mir nicht. Ich hauche gerade die letzten Küsse an meine Kinder
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