Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
leben. Er war verliebt, er war im Urlaub, er hatte einen Traum.
»Deshalb hat er das Studium geschmissen und ist Bäcker geworden«, sagt Eva. »Wir haben uns zehn Jahre nach dem Trip in Berlin kennengelernt. Da hat er mir schon von Neuseeland vorgeschwärmt. Sein großes Ziel.« Sie seufzt. »And the rest is history.« Auch ihrem Englisch hat die Woche unter Maori nicht geschadet.
Die Anschnallzeichen leuchten auf. Auf dem Bordmonitor läuft ein Trivia-Quiz. ›Hat es jemals in Auckland geschneit?‹ lautet die Frage.
»Nope«, murmele ich.
›Ja, 1939‹, kommt als Antwort. Und den ersten Verkehrspolizisten in Neuseeland gab es erst 1930.
Wir überfliegen die Pegasusbucht. Mehr und mehr umzäuntes Farmland, ein zerfaserter Fluss, dann die Ausläufer von Christchurch. Die Hänge der Port Hills sind im Landeanflug zu erkennen. Die Gondel, von deren Station aus ich mit Otto und Jakob an einem brüllend heißen Tag bis ins Tal gelaufen bin, nach jeder Wegbiegung ein Eis zur Belohnung versprechend. Der Pass, auf den ich mich Woche für Woche mit dem Rennrad hochquäle und dann mit einer Aussicht belohnt werde, für die andere einmal um die Welt fliegen. Dahinter liegt Lyttelton. Mein Wohnort, mein Viertel, mein Zuhause – aber wirklich meins? Ich bin nur eine Woche fort gewesen, und schon betrachte ich alles wieder wie eine Fremde, durch ein Fernglas. Mein Zugehörigkeitsgefühl für Christchurch ist einer diffusen Verlorenheit gewichen. Als ob ich auf Wasser treibe und nicht weiß, was darunter lauert. Wie gut, dass sich irgendwo da unten drei Menschen befinden, die meine Heimat sind. Mein Anker, damit ich nicht untergehe. Und jetzt sitzt noch eine Millie mit im Boot, wer oder was auch immer das ist.
»Soll ich dich an der Bäckerei absetzen?«, frage ich Eva im Auto.
»Nee, lass mal. Lieber nach Hause.« Sie simst pausenlos.
Wir schrauben uns die Serpentinen zu ihrem Haus hoch. Sumner funkelt im Frühlingssonnenschein. Surfer im Wasser, Familien am Strand, das ganze Postkartenpanoptikum. Aber ich kann im Moment nur an Jägi denken. Der enttäuschte Utopist, der seinen Aussteigertraum in Golden Bay nicht wiederfand, sich immer mehr verkrampfte und zum Ekelpaket wurde. Zum ersten Mal seit der Brandnachricht tut er mir ehrlich leid.
Die Tür ohne Türklingel steht sperrangelweit offen. Ich kann vom offenen Autofenster aus ins Haus ohne Hausflur blicken. Er sitzt allein auf seinem frisch schamponierten Teppich, mit dem Rücken ans Sofa gelehnt, die Augen geschlossen. Die Musik dröhnt so laut, dass wir sie auf der Einfahrt hören können.
›In die warmen Länder würden sie so gerne fliehn
Die verlornen Kinder in den Straßen von Berlin‹.
Das Lied ist von einer Ostrock-Band. Ich habe es mal live gehört, bei einer RTL -Gala in Ungarn zur Feier der Wende.
›Wo sie zu Hause sind, wo sie zu-haaaau-se sind.
In die warmen Länder …‹
Eva zieht die Tür hinter sich zu.
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Bier her, oder ich fall um
MILLIE IST EIN SCHAF und lebt jetzt bei uns. Das war die Überraschung, die auf mich gewartet hat. Während ich oben in Northland maorisierte, wurde es rund um Christchurch endlich Frühling. Die ersten Lämmer stolperten herzallerliebst über die Weiden. Da war natürlich die Freude groß, als Judy und Nick meine Söhne fragten: »Wollt ihr ein Lamm mit der Flasche großziehen?«
Unsere Nachbarn hatten auf der Farm von Freunden einen mutterlosen Frischling aufgelesen. Klar wollten die Jungs. Und ihre Mama war nicht in der Nähe, um zu protestieren. Aber warum auch: Was könnte das Leben in einem Holzhaus mit Ökogarten besser abrunden als ein Lämmchen? So viel Bullerbü muss sein, wenn man den Industriestandort Deutschland für eine kleine Agrarnation verlässt. Schließlich haben wir einen Ruf zu verteidigen.
Millie hat Löckchen, einen dunklen Fleck auf der Nase, zerbrechliche Beine und eine weiche Schnauze. Ich bin ziemlich angetan von ihr, auch wenn ich es sonst nicht so mit Tieren habe. Unglaublich niedlich ist sie. Klein-Millie ist ein echter Sonnenschein, wenn auch mit vielen Regenschauern. Sie ist nämlich inkontinent.
In den ersten Tagen ist das noch putzig. Das Schäfchen trippelt blökend durchs Wohnzimmer, nuckelt seine Babyflasche leer, spreizt die Hinterbeine und strullert auf die Holzdielen. Nachts schläft es auf einer Decke, tags wird es verwöhnt wie ein Schoßhund. Die beiden Meerschweinchen – Geschenke zum letzten Weihnachten und mittlerweile so
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