Was sich kusst das liebt sich
Entferntesten ähnlich und war obendrein aus billigem Polyester, sodass Neve jedes Mal einen elektrischen Schlag bekam, wenn sie das Physiklabor betrat.
Charlotte lief zu Höchstform auf, als sie sie das erste Mal darin sah.
Neve kauerte auf dem Bänkchen ihrer Umkleide und vermied es tunlichst, in den Spiegel zu sehen. Wer sah in diesem Licht schon gut aus, noch dazu in der figurformendsten Unterwäsche, die es hierzulande zu kaufen gab? Und was trieb Celia so lange da draußen? Neve hatte gehofft, sie hätte sich klar ausgedrückt, als sie gesagt hatte, sie sei auf der Suche nach einem schwarzen Kleid, aber Celia versuchte ihr stattdessen einen schwarzen Hosenanzug mit smokingartigem Jackett einzureden. » Darin siehst du aus wie Marlene Dietrich.«
Neve hatte sie nur ungläubig angestarrt. Um auszusehen wie Marlene Dietrich hätte sie sich einer umfassenden Schönheits- OP samt Fettabsaugung unterziehen oder besser noch einen Genaustausch vornehmen lassen müssen.
Natürlich hatte auch ihre Mutter gleich ihren Senf dazugeben müssen: » Mit einer schicken schwarzen Hose ist man immer gut angezogen, sei es bei Vorstellungsgesprächen oder wenn man vor Gericht aussagen muss… und natürlich bei Beerdigungen.«
Celia war gut geschult und wusste, dass sie die Umkleide ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht betreten durfte. » Hier, probier die mal an.« Sie reichte Neve zwei Hosenanzüge durch den Spalt zwischen den dünnen Baumwollvorhängen.
» Bringst du mir dann bitte ein paar schwarze Kleider?«, rief Neve. Keine Antwort. Sie hängte die beiden Anzüge wenig begeistert auf. Warum hatte ihr Celia Größe42 gebracht? Den in Größe44 würde sie anprobieren, um ihren guten Willen zu zeigen– und um zu demonstrieren, dass » Mission Marlene« an ihrem gebärfreudigen Becken scheiterte. Und dann würde sie darauf bestehen, dass jetzt die schwarzen Kleider dran waren.
Die Hose ließ sich einigermaßen mühelos über ihren Po ziehen und sogar zumachen, doch sie spannte über der Hüfte und an den Oberschenkeln, während der Bund etwas abstand. Aus reiner Neugier nahm Neve das Jackett vom Bügel und schlüpfte hinein. Immerhin das passte ihr; die Knöpfe gingen zu, aber…
» Na, wie läuft’s da drin?«, ertönte die grelle Stimme ihrer Mutter, und dann wurde zu Neves Entsetzen der Vorhang aufgerissen. » Lass dich mal ansehen.«
» Die Hose passt nicht«, sagte Neve und hielt sich schützend die Arme vor den Bauch. » Das Jackett ist okay, finde ich.«
» Zeig mal.« Ihre Mutter besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit, ihre Arme beiseitezuschieben und prüfend eine Hand in den Hosenbund zu stecken. » Die ist dir zu weit.«
» Sie ist zu eng. Sie spannt am Hintern und an den Beinen.«
» Unsinn. Sie ist zu groß, und das Jackett hängt wie ein Sack an dir runter.« Mrs Slater knöpfte Neve die Jacke auf.
» Mum! Lass das!« Neve versuchte, sie davon abzuhalten.
» Ich habe diesen Körper zur Welt gebracht– was übrigens kein Honigschlecken war, das kannst du mir glauben–, und außerdem sind wir unter uns. Kein Grund, sich zu schämen.«
Jetzt knöpfte ihre Mutter ihr die Jacke auf. » Oh, deine Brust ist viel kleiner als ich dachte.«
» Mum! Was hab ich dir vorhin gesagt?« Celia schob den Vorhang beiseite und bedachte ihre Mutter mit einem bitterbösen Blick. » Du kannst doch nicht einfach so da reinmarschieren und ungefragt deine Meinung raustrompeten! Und lass die Finger von Neve!«
» Also, wo gibt’s denn so was?«, brummte Mrs Slater und ließ die Hände sinken. » Du brauchst dich für nichts zu schämen, Neve. Du bist ja nur noch ein Strich in der Landschaft!«
» Ein reichlich dicker Strich«, maulte Neve und knöpfte die Jacke wieder zu, um sich Celia zu präsentieren.
» Der ist dir zu groß. Probier den kleineren«, sagte diese.
» Hört ihr mir nicht zu? Ja, der Hosenbund ist zu weit, aber sie spannt über der Hüfte und über meinem Nilpferdhintern.«
» Bitte, zieh einfach den kleineren an, ja? Mir vergeht schön langsam die Lust am Leben«, flehte Celia.
» Okay, meinetwegen.« Neve griff nach dem zweiten Anzug und drehte sich zu Celia und ihrer Mutter um, die man für Zwillinge hätte halten können, wenn ihre Mutter nicht fünfundzwanzig Jahre älter gewesen wäre– dieselbe Statur, derselbe indignierte Gesichtsausdruck. Allerdings schminkte sich Mrs Slater etwas dezenter, seit ihre Haare nicht mehr ganz so feurig rot waren wie früher. » Ich brauche kein Publikum,
Weitere Kostenlose Bücher