Was sich kusst das liebt sich
gut geht, obwohl du das Gegenteil behauptest. Kaum hattest du den Hörer abgenommen und ›Hallo‹ gesagt, da wusste ich, dass dich etwas bedrückt.« Williams Stimme wurde sanft. » Du vertraust mir doch, oder? Du kannst mir alles erzählen.«
» Natürlich vertraue ich dir«, sagte Neve rasch. Aber obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte, als jemandem von letzter Nacht zu erzählen und sich einen guten Rat zu holen, war William der letzte Mensch, der etwas davon erfahren durfte. Eher würde sie ihre Mutter ins Vertrauen ziehen. » Ehrlich, es geht mir gut. Es ist nichts.«
» Es geht dir nicht gut, und es ist sehr wohl irgendetwas. Ich muss wohl mal den alten Spruch strapazieren: Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
» Naja, das bezweifle ich doch sehr«, widersprach Neve und fuhr dann– hauptsächlich, um noch etwas mit William telefonieren zu können– fort: » Also… ähm… ich habe eine falsche Entscheidung getroffen, und die hatte dann gewisse… äh… Komplikationen zur Folge. Dummerweise war auch ein anderer Mensch involviert, und ich fürchte, ich habe ihn verärgert.« Sie runzelte die Stirn und hätte am liebsten erneut den Kopf in die Hände sinken lassen, hätte sie nicht mit einer Hand den Hörer halten müssen. » Womöglich hat der Betroffene jemandem erzählt, was ich getan habe. Ach, ich sitze fürchterlich in der Patsche.«
» Was hast du denn angestellt?«, wollte William wissen. » So schlimm kann es doch gar nicht gewesen sein.«
» Doch, es war schlimm. Sehr, sehr schlimm.«
» Neve, du bist ein herzensguter Mensch, und solltest du wirklich jemanden verärgert haben, dann hast du es sicher nicht mit Absicht getan«, tröstete er sie. Wenn Neve ihm so zuhörte, fragte sie sich wie schon so oft, ob er vielleicht jeden Morgen eine Tablette nahm, die ihm die Fähigkeit verlieh, stets genau das Richtige zu sagen.
» Ich weiß einfach nicht, wie ich die Angelegenheit wieder ins Lot bringen soll«, klagte sie. » Oder was ich gegen meine Gewissensbisse unternehmen soll.«
» Du könntest dich entschuldigen«, schlug William vor. » Und die Umstände erläutern, die zu dieser… Fehleinschätzung geführt haben. Ich bin sicher, der Betroffene wird erkennen, dass du dich normalerweise nicht so verhältst. Du hast doch hoffentlich niemanden plagiiert, oder?«
» Lieber Himmel, nein! Natürlich nicht«, stieß Neve entsetzt hervor. Dass er ihr so etwas überhaupt zutraute! » Das würde ich nie tun.«
» Na, also, dann kann es ja nicht so schlimm sein. Du machst dir zu viele Gedanken. Erkläre einfach die Sachlage, entschuldige dich und dann vergiss es«, sagte William fest. Da war er, der erhoffte Ratschlag. Allerdings…
» Wenn du sagst, ich soll mich entschuldigen, meinst du dann persönlich? Oder telefonisch? Ich bin nicht sicher, ob ich mit dem Betreffenden reden will.«
William seufzte resigniert. » Ach, Neve, was soll ich bloß mit dir machen? Schreib ihm einfach einen Brief– du schreibst so schöne, elegant formulierte Briefe.« Noch ein Seufzer. » Ich freue mich immer, wenn ich einen blauen Luftpostumschlag in meinem Postkasten finde.«
Neve seufzte ebenfalls, allerdings vor Sehnsucht. » Danke, das ist lieb von dir«, meinte sie mit einem Lächeln in der Stimme. » Und danke für deinen Rat. Ich schreibe ihm einen Brief, dann kann ich das Thema abhaken und heute Nacht hoffentlich wieder schlafen.«
Sie tauschten noch ein paar Floskeln über das Wetter aus, und Neve gelobte erneut, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in die British Library zu gehen. Dann legte William auf, und sie barg wieder den Kopf in den Händen, wenn auch diesmal aus ganz anderen Gründen.
Sie hatte Max erlaubt, sie auf eine Art und an Stellen zu berühren, die einzig und allein für William reserviert waren. William würde sich nie solche Freiheiten bei einer Frau herausnehmen, die er gerade erst kennengelernt hatte.
Max dagegen hatte sie geküsst und sie gefragt, ob sie ihn mit nach Hause nehmen wolle, obwohl er nicht einmal gewusst hatte, wie sie hieß. Er war ein Casanova, und vermutlich machte er bereits dem nächsten Opfer Avancen, während Neve in ihrer Küche saß und herumgrübelte.
Auf Zehenspitzen schlich sie ins Wohnzimmer, setzte sich an ihren Schreibtisch und öffnete eine Schublade, der sie einen Bogen Basildon-Bond-Papier entnahm. Dann griff sie nach ihrer besten Füllfeder. Wenn schon, denn schon. Außerdem war es stillos, persönliche Post zu tippen. Sollte sie ihre
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