Was sich kusst das liebt sich
sich sehr für die Kirche engagierte.
Trotzdem holte sie einen Umschlag und Briefmarken aus der Schublade, denn sobald sie diesen Brief abgeschickt hatte, war die ganze unerfreuliche Angelegenheit gegessen. Abgehakt. Nie geschehen.
Kapitel 6
Neve hörte nichts mehr von Max und war sehr erleichtert darüber, denn das bedeutete, dass sie das ganze unselige Ereignis hinter sich lassen und nach vorne blicken konnte. Zumindest hatte sie eines aus der Erfahrung gelernt, nämlich, dass sie noch nicht bereit für nähere Kontakte mit dem anderen Geschlecht war– weder geistig noch gefühlsmäßig, und erst recht nicht körperlich.
Wenigstens was den letzten Punkt anging, konnte sie etwas unternehmen, denn dafür, dass sie abgenommen hatte, gab es handfeste Beweise. Es war der zweite Samstag im Februar– Zeit für ihren monatlichen Fitnesscheck mit ihrem Trainer Gustav–, und Neve hoffte auf gute Neuigkeiten. Zwischen diesen Terminen war es ihr strengstens verboten, sich zu wiegen, denn Gustav war ein erbitterter Gegner von Waagen, dafür aber ein großer Verfechter von Umfangmessungen.
» Du hast wieder einen Zentimeter von deiner…« Gustav deutete auf seinen Brustkorb. Er mied B-Wörter wie Busen oder Brüste und zog es vor, stattdessen von Gesten Gebrauch zu machen, sei es, weil er schwul war oder weil er aus Österreich stammte; Neve wusste es nicht.
» Sie sind kleiner geworden? Schon wieder?« Neve spähte verzagt auf ihre Oberweite hinunter.
» Ein Zentimeter an der oberen Taille, nichts an der unteren Taille, keine Veränderung an den Hüften. Vielleicht ein halber Zentimeter am linken Oberschenkel, am rechten nichts.«
Es hatte ein kleines, beglückendes Zeitfenster gegeben, da hatte Neve geglaubt, für ihre Anstrengungen mit einer Sanduhrfigur belohnt zu werden. Doch von dieser Hoffnung hatte sie sich längst verabschieden müssen. Mittlerweile ähnelte sie eher einer Birne.
» Und wann verschwindet endlich das Fett unterhalb der Taille?«, fragte sie verzweifelt und kniff sich zur Demonstration in den delligen Oberschenkel. » Wie viele Kniebeugen und Ausfallschritte muss ich denn noch machen?«
Gustav rollte mit dem Stuhl nach hinten und musterte sie mit seinem ernstesten Gesichtsausdruck. Sie befanden sich in seinem kleinen Büro in der obersten Etage des Fitnesscenters in Highgate, das Neve regelmäßig besuchte. Anfangs hatte sie in einem viel weniger noblen Studio in Finsbury Park trainiert, aber Gustav hatte einen ordentlichen Rabatt für sie ausgehandelt, als er hierher gewechselt hatte. Er hatte eine förmliche, aber leidenschaftliche Rede darüber gehalten, dass sie sich auf einer gemeinsamen Reise befänden und mit den Worten geendet: » Wir machen weiter, selbst wenn wir das Ziel erreicht haben. Es ist eine lebenslange Reise, Neve.«
Neve hatte nicht so recht gewusst, worauf er hinauswollte, weil man das bei Gustav nie so recht wusste. Vermutlich hatte er ihr damit zu verstehen geben wollen, dass aus ihrer beruflichen Beziehung eine Freundschaft geworden war. Eine Freundschaft, die von einer starken gegenseitigen Abhängigkeit geprägt war.
» Tja, Neve, ich weiß, ich wiederhole mich, aber es liegt eben nicht in deiner Hand, wann und wo das Fett verschwindet. Es verschwindet, wenn es ihm passt. Du musst realistisch bleiben. Was sage ich immer?«
» Dass ich mir mein Körpergewicht nicht über Nacht angefuttert habe und es auch nicht über Nacht verlieren werde«, zitierte Neve gehorsam. » Aber Fakt ist, ich muss noch gut 16Kilo abnehmen. Schaffe ich das in sechs Monaten oder ist das unrealistisch?«
» Du schaffst es, wenn du geduldig bist, dich an die Regeln hältst und genau das tust, was ich dir sage«, erwiderte Gustav unerbittlich. Normalerweise war es gut, wenn er mit steinerner Miene auf Neves Glaubenskrisen reagierte, aber zuweilen fand sie es höchst irritierend.
» Aber mein Gewicht stagniert! Ich weiß es, und du weißt es auch. Ich nehme zwei Kilo zu, wenn ich meine Tage habe, und hinterher nehme ich wieder zwei Kilo ab. Das geht jetzt schon seit drei Monaten so!«, jammerte Neve. » Ich trainiere doch schon sechsmal pro Woche. Ich fahre überall mit dem Rad hin und nehme immer die Treppe, und trotzdem…«
» Du hast dich heimlich gewogen, stimmt’s?« Gustav verschränkte pikiert die Arme vor der Brust, sodass sein Bizeps noch deutlicher als sonst hervortrat.
Sie hatten sich an jenem schicksalshaften Tag kennengelernt, als Neve das erste Mal in ihrem Leben ein
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