Was sich kusst das liebt sich
sie, als er sie gegen Ende zu Tes c o Metro begleitete, weil sie noch eine Packung fettarme Milch kaufen wollte, ehe sie nach Hause radelte. Edward hatte » Potenzial«, wie es ihre Chefin Rose wohl ausdrücken würde; er wäre sogar richtiggehend attraktiv, wenn er etwas weniger schwitzen und sich von seinem dünnen Pferdeschwanz verabschieden würde. Und mal ehrlich: Sie selbst war auch nicht gerade Konkurrenz für Angelina Jolie. Und wenn sie mit Edward ausging, musste sie sich künftig nicht mehr mit heftig pochendem Herzen und diesem metallischen Geschmack im Mund zu irgendwelchen Dates quälen.
» Also, ähm… Ich finde dich toll«, hauchte Edward, als sie vor dem Supermarkt standen. » Würdest du mich denn eventuell wiedersehen wollen?«
» Gern.« Neve nickte entschlossen und fragte sich gerade, ob sie nun, da das geklärt war, mit ihrer Telefonnummer herausrücken sollte, als er ihr eine Hand auf die Wange legte.
Es war das Vorspiel zu einem Kuss, der nie geschehen sollte, denn kaum lag seine feuchtheiße Handfläche auf ihrem Gesicht, da schauderte Neve heftig. Es fühlte sich so an, als würde ihre Haut vor der Berührung zurückschrecken, und das, obwohl sie soeben eine rationale, durchdachte Entscheidung getroffen hatte, die ihr Herz zumindest so halbwegs unterstützte. Doch ihr Körper reagierte eindeutig absolut angewidert.
Sie taten beide so, als hätten sie es nicht bemerkt. Edward gab Neve seine Telefonnummer, sie versprach, ihn anzurufen. Zu Hause angekommen stellte sie fest, dass er ihr bereits drei Nachrichten geschickt hatte, um ihr zu sagen, wie toll er sie fand und wie sehr er darauf brannte, sie wiederzusehen. Schönes Wochenende, Süße, las sie und schauderte erneut, nicht ohne einen Anflug von Scham, aber wie sollte sie mit jemandem ausgehen, bei dem sie schon angeekelt zusammenzuckte, wenn er ihr bloß eine nette Nachricht mit einem Kosenamen schickte? Unmöglich.
Am Samstag hatte sie kein Date, denn Celia, Rose, Chloe und Chloes Mitbewohnerin hatten ihr eingetrichtert, dass Leute, die sich übers Internet für einen Samstagabend verabredeten, totale Loser waren, womit auch Neve zum Loser abgestempelt gewesen wäre. Außerdem war Rose wild entschlossen, mit Neve in einen Salsa-Klub in der Charing Cross Road zu gehen.
Neve wurde nicht ganz schlau aus ihrer Vorgesetzten, die schon über vierzig war und seit ihrem achtzehnten Lebensjahr im LLA arbeitete. Rose hatte den Großteil ihres Erwachsenenlebens damit zugebracht, ihre an MS erkrankte Mutter zu pflegen und deshalb nie geheiratet. Seit dem Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren konzentrierte sich Rose in ihrer Freizeit darauf, sich junge Männer aus Südamerika aufzugabeln, denen sie nach ein paar Wochen, wenn sie sich langweilte, den Laufpass gab. Ihr Sozialleben konnte sich durchaus mit dem von Neve messen.
Seltsamerweise sah Rose genauso aus, wie man sich eine Frau Mitte vierzig vorstellte, die ihre besten Jahre für die Pflege eines Elternteils geopfert hat. Sie war groß und drall, und ihre entschlossene Miene erwies sich oft als hilfreich, wenn Mr Freemont mal wieder unausstehlich war.
Im LLA erschien sie stets mit maßgeschneiderten Kostümen und halbhohen Stöckelschuhen, doch am Samstagabend steckte sie sich das mausbraune Haar zu einer Fülle von Ringellocken hoch und verwandelte sich in eine Sexbiene mit atemberaubend hochhackigen Schuhen und einem raubkatzenartigen Lächeln, deren rotes Paillettenkleid tiefer ausgeschnitten war, als Neve es für eine Frau ihres Alters angemessen fand. Neve trug ein schwarzes Wickelkleid und Ballerinas und ließ sich vor der Salsa-Einführungsstunde nur widerstrebend von Rose dazu überreden, ihr schwarzes Jäckchen abzulegen.
» Du musst ein bisschen Haut zeigen«, sagte Rose und blickte zufrieden an ihrer Vorderfront hinunter. » Ich habe Glitzerpuder dabei, der lenkt die Blicke auf die Brust.«
Neve war nicht darauf erpicht, irgendwelche Blicke auf ihre Brust zu lenken, die sich nach der Einführungsstunde garantiert atemlos heben und senken würde. Außerdem hegte sie den Verdacht, dass sie null Taktgefühl hatte; eine Befürchtung, die sich nur allzu bald bewahrheiten sollte. Wenn alle einen Schritt nach links machten, trat sie nach rechts, und statt die Hüften kreisen zu lassen, wackelte sie lediglich mit dem Hintern.
» Du machst das hervorragend«, rief Rose, als sie mit Esteban, einem chilenischen Tellerwäscher, der aussah wie ein junger Antonio Banderas, im Mamboschritt an
Weitere Kostenlose Bücher